Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
kurz inne. »Aber das ist noch nicht alles. Es gibt nur einen Drang in mir, der mich noch stärker antreibt als mein Heimweh nach Vovinadhár. Meine Sehnsucht nach einem ganz bestimmten Menschen.«
»Thaja«, murmelte Neria.
Margon sah sie schweigend an und nickte langsam. »Ich werde zurück nach Runland gehen, um dort erneut geboren zu werden, und um sie wiederzufinden. Egal, wie lange es dauert.«
»Aber sie ist eine Sterbliche!«, rief Neria. »Und Ihr seid ...«
»Ein Mensch«, gab Margon zurück. »Genau wie sie. Lieber ein kurzes Leben an ihrer Seite als eine einsame Unendlichkeit in Vovinadhár.«
»Ich glaube, ich kann Euch verstehen«, gestand Neria. »Ich gäbe auch alles darum, meinen Geliebten wiederzusehen. Trotzdem – die Serephinfrau, die mir von Euch erzählte, hat mir gesagt, wie sehr man Euch vermisst. Ihr werdet gebraucht! Ich habe gesehen, wozu Euer Volk in der Lage ist. Was könntet Ihr nicht alles tun, wenn Ihr zurückkehrtet!«
»Ich habe die Saat des Aufstands gesät«, entgegnete Margon. »Das war bereits mehr als genug. Die Herren in Vovinadhár können dies nicht mehr ungeschehen machen. Eine Idee ist nicht umzubringen. Wer weiß, was die Zukunft bringen mag, nicht nur für mein Volk, sondern auch für Eures. Vielleicht kehre ich eines Tages mit Thaja in meine Heimat zurück, wenn sie es will und es einen Weg für uns beide gibt. Doch zunächst muss ich mich auf die Suche nach ihr machen, und hoffen, dass sie mich ebenfalls erkennen und von Neuem lieben wird.«
Neria lächelte. »Ich wünsche Euch von Herzen, dass Euch gelingt, was Ihr begehrt«, sagte sie, bevor sie sich erhob. »Aber nun muss ich durch diese Tür und dem begegnen, was dahinter liegt.«
Auch Margon stand schwankend auf und verzog dabei schmerzhaft sein Gesicht. »Sei bedankt. Und verzeih einem schwatzhaften alten Mann. Ich habe dich schon viel zu lange aufgehalten. Ich hoffe, dass es dir gelingt, Runland zu retten – um aller Menschen willen, deren Schicksal jetzt von dir abhängt!«
Nerias Gesicht wurde noch einen Ton blasser, als es ohnehin schon war. Umrahmt von ihrem dichten, schwarzen Haar sah sie beinahe so bleich aus wie eine Tote. Margon spürte, wie mühsam sie ihre Aufregung unterdrückte. Tiefes Mitleid überkam ihn für die junge Voronfrau, die es freiwillig auf sich genommen hatte, die Bürde der Rettung ihrer Welt zu tragen. Er breitete seine Arme aus und umarmte sie stumm. Sie erwiderte seine Umarmung kurz, dann lösten sich beide wieder voneinander.
»Wird sich die Träumende hinter dieser Tür aufhalten?«, fragte Neria mit gepresster Stimme. »Was soll ich in Cyrandiths Thronsaal tun? Wie soll ich zu ihr sprechen?«
»Mach dir keine Gedanken«, erwiderte Margon beruhigend. »Du wirst wissen, was du zu tun hast, wenn du erst einmal dort bist.«
Er trat zur Seite, und deutete auf die gedrungene, eisenbeschlagene Tür. »Wir haben keine Zeit für Erklärungen mehr. Gehe hindurch. – Und viel Glück!«
»Ich danke dir«, sagte Neria. »Leb wohl.«
Sie holte so tief Luft. Ohne Margon noch einmal anzusehen, trat sie vor die Tür und legte ihre Hand auf den eisernen Knauf. Er fühlte sich eiskalt an. Sie drückte ihn herab, zog den Kopf ein und öffnete die niedrige Tür, die sich nach innen öffnete.
Mit einem entschlossenen Schritt betrat Neria Carn Wyryns Thronsaal. Sie ließ die Klinke los. Laut fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
31
Enris erkannte das Innere der Schwarzen Nadel sofort wieder, als wäre er deren Stufen erst am gestrigen Tag hinaufgestiegen, den Anführer der Serephin in seinem Rücken, dessen bösartige Fröhlichkeit ihm wie ein Schwall heißer Luft in den Nacken geweht hatte. Jetzt humpelte er den umgekehrten Weg, höher und höher die steinerne Treppe hinauf, Sareth und den Serephinkrieger, der sie gefangen genommen hatte, hinter sich. Er zweifelte nicht daran, dass Jenasar im obersten Raum der Nadel auf sie warten würde, Margons und Thajas Turmzimmer. Es passte nur zu gut, dass sein Leben an jenem Ort endete, an dem er zum ersten Mal von den Serephin gehört hatte. Damals hatte er sie nur für Wesen aus einer Geschichte gehalten wie jene, die ihm der unbekannte alte Mann vor so langer Zeit am Vorabend seiner Abreise aus seiner Heimatstadt erzählt hatte. Solche Wesen konnten doch nur in Märchen oder Alpträumen zuhause sein. Aber inzwischen hatte er mehr von den Serephin gesehen, als ihm jemals lieb sein konnte. Ihm war vage bewusst, dass er erst aufgrund der
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