Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
Hintergedanken. »Sei unbesorgt«, beruhigte er sie, ohne seine Hände von Enris’ Brust fortzunehmen.
Verdutzt glättete sich Nerias Stirn. Dieser da war der Erste aus dem unheimlichen Echsenvolk, der sie nicht behandelte, als ob sie zurückgeblieben, ein Kind oder ein unverständiges Tier sei. Tief in ihrem Inneren vertraute sie auch jetzt noch nicht einmal Jahanila.
Immerhin war sie im Gefolge dieses anderen Serephin gekommen, der den Auftrag besessen hatte, Enris zu töten. Aber jener Wachmann, aus dessen Händen nun das goldene Licht in die Brust ihres schwer vergifteten Freundes sickerte, wirkte so anders.
Zum ersten Mal öffnete sich Neria in Gänze dem Gedanken, dass diese fremdartigen Echsen tatsächlich die Schöpfer der menschlichen Rasse waren – dass sie sich hier, in einer längst vergangenen Zeit, einem Wesen gegenüber befand, das ihren Vorfahren das Leben geschenkt hatte. Einen Lidschlag lang hämmerte diese Vorstellung mit einer solchen Wucht auf ihren Verstand ein, dass es ihr den Atem raubte. Sie blinzelte verstört, während der Serephin wieder die Augen schloss, und zwang sich dazu, ihren Blick zu senken. Wenn sie nur auf das achtete, was gerade in diesem Moment um sie herum vorging, fühlte sie sich weniger verwirrt.
Das goldene Licht hatte nicht aufgehört, aus Tarnarivas Händen und in Enris’ Brust zu fließen. Ruckartig hob sich dessen Oberkörper. Er rang rasselnd nach Atem und riss die Augen auf.
»Ruhig, mein junger Freund«, sagte Tarnariva leise, aber eindringlich, wie unter großer Anstrengung.
»Es ... brennt«, keuchte Enris. »Was ...« Er brach ab und stöhnte schmerzerfüllt auf.
»Ihr tut ihm weh!«, schrie Neria. Sie hielt Enris noch immer in ihrem Schoß fest.
»Nein«, widersprach der Serephin gepresst, »es ist das Maugrimgift, das sich wehrt.« Seine Lider flackerten, dann blickten seine Augen wieder sanft, aber unerbittlich. »Es hat sein eigenes Leben, das ihm von den Clar’catt verliehen wurde. Das macht dieses Gift so hinterhältig. Aber dennoch ist es in dem einfach gebauten Körper eines Temari schnell besiegt.« Er sah zu Alcarasán hinüber. »Bei uns Serephin ist das anders. Unsere Körper sind schwieriger von dem Gift zu reinigen. Du musst so schnell wie möglich zu den Heilstätten, oder du stirbst.«
Unter seinen Händen wand sich Enris hin und her. Neria hielt seinen Kopf umklammert und sah ihn mit einem Ausdruck hilfloser Qual an. Die Brust des jungen Mannes hob sich schwer. Er riss seinen Mund zu einem lautlosen Schrei auf. Doch kein Laut drang über seine Lippen.
Stattdessen schoss ein gleißend heller Strahl goldenen Lichts aus seinem Rachen hervor, der sich in der Luft vor ihm auflöste. Tarnariva hob seine Hände und ließ Enris los, dessen Körper das goldene Licht verließ.
Als Neria genauer hinsah, fielen ihr schwarze Punkte innerhalb der leuchtenden Wolke auf, winzig wie Samenkapseln, die innerhalb weniger Momente zusammen mit den Atemwolken durchsichtig wurden und sich auflösten. Enris sank wieder in Nerias Arme zurück. Die Schwellungen auf seinem Gesicht waren noch immer vorhanden, aber seine verquollenen Augen blickten nun aufmerksam und wach.
»Das Gift hat deinen Körper gerade noch zur rechten Zeit verlassen«, sagte Tarnariva. »Die Beulen auf deiner Haut werden allmählich zurückgehen und verschwinden.« Er stand auf und wandte sich Alcarasán zu. »Bringen wir dich zu den Heilstätten, bevor du uns tot umfällst.«
Seine Kameraden von der Wache traten zurück an das riesige metallbeschlagene Doppeltor. Langsam öffneten sich dessen rauchblaue Flügel, so lautlos, dass sie den Eindruck erweckten, nicht aus festem, unnachgiebigem Stoff zu bestehen. Verblüfft zwinkerte Enris seine rotgeränderten Lider.
»Was soll mit den beiden Temari geschehen?«, wollte Jahanila vom Anführer der Serephin wissen.
»Was ist das für eine Frage?«, entgegnete dieser. Er klang leicht verwundert. »Wir bringen sie natürlich in den Äußeren Ring, zu den anderen Temariflüchtlingen.«
Enris kam auf die Beine und trat leicht schwankend auf Jahanila zu. Er fühlte sich wieder völlig frei von der bleiernen Last auf seiner Brust, die ihm die Luft zum Atmen abgeschnürt hatte, aber sein Körper schien dem Frieden noch nicht recht zu trauen. »Heißt das, wir werden voneinander getrennt?«, raunte er Alcarasáns Begleiterin zu. Neria trat an seine Seite, ebenfalls eine Antwort erwartend.
»Keine Sorge, wir werden euch aufsuchen, sobald mein
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