Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
in die Sicherheit dieser Mauern zu schaffen. Genau das haben wir getan. Bevor Lancasor zu Geschäften in die Heimatwelt aufbrach, erwähnte einer seiner Untergebenen eine weit im Osten liegende Temarisiedlung, die bisher von uns übersehen worden war. Also machten wir uns auf, diese Temari zu finden und zu retten.« Er zeigte sein überzeugendstes Lächeln, was ihm angesichts seines geschwollenen Gesichts schwerfiel. Auch er wäre wie Jahanila am liebsten umgefallen, wo er stand, um nicht wieder aufzustehen. Der Druck auf seine Brust war kaum zu ertragen, und das Atmen zwischen jedem Satz fiel ihm so schwer, als müsste er die Luft aus einem tiefen Schacht heraufpumpen.
Der Anführer der Wache nickte mit seinem Kinn zu Enris und Neria hinüber. »Wegen dieser beiden da habt ihr euer Leben in Gefahr gebracht und die Sicherheit der Stadt aufs Spiel gesetzt?«
Nerias Gesicht wurde dunkel vor Zorn, der jede Furcht vor den fremdartigen Wesen in ihren silbern schimmernden Rüstungen erstickte. Ihre roten Augen funkelten wie vom Wind angefachte Kohlenglut. Sie öffnete ihren Mund, um diesen aufgeblasenen Wichtigtuern zuzuschreien, dass hier gleich ein geretteter Temari weniger am Leben sein würde, wenn er nicht sofort Hilfe bekäme.
Aber im gleichen Moment fing sie einen blitzenden Blick von Jahanila auf, die genau gefühlt haben musste, was sie vorhatte. Zu ihrer eigenen Überraschung presste Neria wieder ihre Lippen zusammen und schwieg, obwohl es ihrem Herzen einen Stich versetzte. Die Serephinfrau hatte Enris schon einmal das Leben gerettet. Vielleicht wusste sie tatsächlich, was sie tat. Aber wenn sie es verpatzte, wenn er dennoch starb, dann würde sie Jahanila umbringen, und diesen Alcarasán ebenso, egal wie mächtig sie sein mochten. Irgendwie würde sie es tun.
Ihre Hände ballten sich zu ohnmächtigen Fäusten.
»Die Maugrim hatten die Siedlung bereits überfallen«, vernahm sie Jahanilas Stimme wie aus weiter Ferne. »Sie hatten alle fortgeschleppt. Den beiden da war es gelungen, sich zu verstecken. Hätten wir sie ihrem Schicksal überlassen sollen? Wenigstens sie wollten wir in Sicherheit bringen, wenn wir schon für die Rettung der anderen zu spät kamen. Diesen völligen Sieg wollten wir den Maugrim um keinen Preis gönnen. Wenn wir es aus Angst nicht mehr wagen, Mehanúr zu verlassen und die Temari aufgeben, dann haben diese Ungeheuer den Krieg bereits gewonnen.«
Nicht ungeschickt, junge Nevcerran! , drang Alcarasáns Stimme in den Geist seiner Begleiterin vor. Sie bei ihrer Ehre zu packen war ein kluger Einfall. Trotz seiner schlechten Verfassung war er immer noch geübt genug, seine Gedanken vor den vier anderen Serephin zu verbergen. Wieder einmal zeigte sich, dass er nicht umsonst zum Orden der Flamme gehörte.
Die Miene des Torwächters hatte sich etwas entspannt. Er hob seinen rechten Arm und hielt die Handfläche Jahanila entgegen, die nach kurzem Zögern ihre eigene dagegendrückte. »Wie auch immer, ihr habt es zurück in die Stadt geschafft«, sagte er in versöhnlicherem Ton. »Es ist kein Schaden entstanden. Und ihr habt den Maugrim zwei ihrer Opfer abgetrotzt.« Er streckte auch Alcarasán die Handfläche hin, der den Gruß erwiderte. »Tarnariva, kümmere dich um die Wunden des Temari«, rief er über die Schulter.
Einer seiner Kameraden eilte zu Neria, die ihn misstrauisch beäugte und keine Anstalten machte, Enris loszulassen. Eines seiner Augen hatte sich geöffnet und blinzelte sie matt an. Als er zu sprechen anfing, gelang es ihr kaum, ihn zu verstehen. Seine Zunge schien in seinem Rachen festgeklebt zu sein.
»Jetzt ... jetzt brauche ich schon wieder einen Heiler«, nuschelte er angestrengt. »Nichts hat sich geändert, auch nicht in der Vergangenheit.« Er quälte sich ein Lächeln ab, das Neria erwiderte, so gut es ihr unter diesen Umständen möglich war.
»Wenigstens sehe ich dieses Mal, was sie mit mir machen.«
Der Serephin war neben ihnen auf die Knie gegangen, ohne darauf zu achten, was Enris von sich gab. Er legte dem jungen Mann seine linke Hand auf die Brust und schloss die Augen. Stirnrunzelnd verfolgte Neria, wie die Hautschuppen auf dem Handrücken des Serephins in einem goldbraunen Licht erstrahlten. Seine Finger schimmerten wie mit flüssigem Metall überzogen.
»Was macht Ihr da?«, brach es aus ihr heraus.
Der Serephin, den die Wache Tarnariva genannt hatte, öffnete die Augen und lächelte sie an. Es war ein offenes Lächeln, ehrlich und ohne verborgene
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