Runlandsaga - Feuer im Norden
wachsen in den Häusern der Wiedergeburt auf, und ihre Leben sind für sie wie für alle anderen, die mit ihnen zu schaffen haben, völlig neu. Niemand weiß, zu wem sie in ihrem letzten Leben gehörten. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als darauf zu warten, dass Fremde sie in ihre Familien aufnehmen und zu ihren Verwandten machen.«
»Heißt das, wenn ein Endar stirbt, wird er in der Welt der Serephin wiedergeboren?«, wollte Enris wissen.
Arcads Miene verriet seinen Schmerz. »Ich weiß es nicht. Wie ich dir bereits erzählte, leiteten wir einen großen Teil unserer Kräfte in diese Welt, um sie vor Angriffen von außen zu schützen. Dadurch verloren wir viel von dem, was wir einst waren, was uns zu Serephin machte. Vielleicht können unsere Geister wegen des Schutzwalls nicht im Tod nach Vovinadhár zurückkehren. Außerdem haben die meisten Endarin verlernt, wie das Wissen um die eigene Vergangenheit über den Tod hinaus bewahrt werden kann. Daher sterben sie für ihre Verwandten wahrhaftig. Selbst wenn sie die Häuser der Wiedergeburt fänden und dort zu neuem Leben entstünden, so wäre es für sie ein Leben ohne Erinnerung an ihre Vergangenheit. Wer sie einmal waren, ist im Tod ausgelöscht wie Spuren im Sand, wenn die Flut heranrollt.«
Er wandte sich von Enris ab und blickte auf die offene See hinaus. »Du siehst, wir kennen ebenso wie ihr Temari den Schmerz von Tod und Trennung, wenn er auch unter uns viel seltener wütet. Vielleicht ist unser Schmerz sogar noch bitterer, gerade weil er uns so selten trifft. Die meiste Zeit über haben wir ihn aus unseren Gedanken verbannt. Stattdessen betrachten wir uns als Unsterbliche. Das ist nur einer der vielen Fehler, die wir im Laufe unseres Daseins in Runland begangen haben.«
Enris fühlte, dass sich hier eine Gelegenheit bot, etwas mehr über die Endarin zu erfahren. »Was meint Ihr damit?«, fragte er und versuchte dabei, so beiläufig wie möglich zu klingen.
Die Antwort kam schneller, als er erwartet hatte. Anscheinend hatte das Einäscherungsritual Arcad nachdenklich und mitteilsamer als sonst gemacht.
»Als Beschützer eures Volkes haben wir versagt«, erwiderte er mit immer noch abgewandtem Gesicht. »Die Serephin hätten niemals in diese Welt gelangen dürfen. Aber möglicherweise ist noch nicht alles zu spät. Wir ...«
Larcaans Stimme, die zu ihm herüberdrang, schnitt ihm das Wort ab. »Was werden wir nun anfangen, Elf? Ihr scheint ja recht gut mit dem Khor dieses Schiffes zu stehen. Hat sie Euch verraten, was sie vorhat?«
Enris war verärgert, dass der Kaufmann Arcad gerade in dem Moment unterbrach, als der Endar offenbar bereit war, einige von seinen Gedanken mitzuteilen. Er wollte ihm schon heftig über den Mund fahren, als sich Arcad zu Larcaan umdrehte.
»Ihr habt Recht. Wir sollten hier nicht länger als nötig bleiben. Lasst uns alle zusammenrufen, damit wir uns beraten.«
Larcaan war verblüfft darüber, dass der Endar, den er nicht ausstehen konnte, ihm zustimmte. Er nickte verwirrt und sah sich nach den anderen Ratsmitgliedern um.
Es dauerte nicht lange, alle, die sich über den Strand verstreut hatten, zu versammeln. Suvare rief ihre Seeleute herbei. Die übrigen Flüchtlinge aus Andostaan gesellten sich schnell zu Larcaan und Arcad. Nur Themet kam nicht zu ihnen. Enris sah, wie er weiter hinten am Strand in der Nähe des Wäldchens herumstreunte und überlegte, ob er ihn rufen sollte, entschied sich aber dagegen. Sollte der Junge noch eine Weile allein bleiben, wenn er das wollte. Sie würden sowieso bald aufbrechen. Die Sonne war bereits wieder im Sinken begriffen und schien nicht mehr direkt auf den Strand, sondern war hinter dem äußersten westlichen Felsen der Weißen Klippen verschwunden, deren helles Gestein nun nicht mehr so gleißend leuchtete, dabei aber kaum an Schönheit verlor.
»Wie soll es jetzt mit uns weitergehen?«, wollte Arene von Suvare wissen. Sie stand müde und erschöpft neben ihrem Mann. Der schroffe Wind, der durch die Bucht fuhr, hatte einige Haarsträhnen aus ihrem Zopf gelöst, die ihr ins Gesicht wehten. »Wohin war Eure Tjalk ursprünglich unterwegs?«
»Eigentlich wollten wir auf direktem Weg nach Sol segeln«, antwortete Suvare. »Aber nach all dem, was passiert ist, steuern wir am besten die nächste Stadt an. Ich will euch nicht einfach in dieser Gegend an Land setzen und euch eurem Schicksal überlassen.
»Nach Menelon also!«, rief Larcaan. »Hoffentlich schaffen es unsere Verwandten
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