Runlandsaga - Feuer im Norden
gestürzt.
Arcad sah sich angestrengt um, während weitere Erdstöße den Boden erschütterten und zum Schwanken brachten. Seine Augen weiteten sich.
»O nein ...«, murmelte er tonlos.
Enris hatte ihn wegen des lauten Grollens kaum verstanden, aber er folgte Arcads Blick. Was er sah, ließ ihn an seinen Sinnen zweifeln. Der riesige Steinpfeiler auf der freistehenden Klippe vor dem Uferstreifen leuchtete trotz des strahlenden Sonnenlichts nicht mehr in dem hellen Weiß wie bei ihrer Ankunft, sondern hatte ein bleiernes Grau angenommen. Doch dies war nicht das eigentlich Unheimliche. Um die gesamte Höhe der Säule herum hatten sich dunkle Wolkenschleier gebildet, die um sie zu kreisen begannen, als wären sie die Speichen eines Rades und das steinerne Monument seine Achse. Blitze zuckten innerhalb des finsteren Gebildes. Einer von ihnen fuhr wie eine grellweiße Klaue zur Spitze des Pfeilers. Ein ohrenbetäubender Knall ertönte, als die Säule zerbarst. Steinbrocken hagelten in die Brandung unterhalb der Klippe. Einige wurden bis ans Ufer geschleudert, wo sie sich dumpf aufschlagend in den nassen Sand gruben. Innerhalb weniger Augenblicke waren die Wolken zu einer Masse angewachsen, die den Stumpf des Pfeilers verhüllte und sich nun auf den Felsen darunter zu senken begann.
Ein heftiger Wind war aufgekommen. Das Dröhnen des Wirbels, das von den die Bucht einrahmenden Klippen widerhallte, nahm ebenso zu wie das Beben des Bodens. Auch die Wellen, die sich am Strand brachen, hatten an Größe und Wucht zugenommen. Enris sah, wie das Boot mit den Fliehenden, das sich der Suvare näherte, von den sich auftürmenden Wogen heftig hin- und hergeworfen wurde. Daniro und Teras bemühten sich beim Rudern so gut sie konnten, den Bug des völlig überfüllten Bootes direkt in die Wellenberge hineinzusteuern, um es nicht zum Kentern zu bringen. Dennoch schwankte es heftig. Seine Insassen hielten sich krampfhaft an dessen Wänden fest.
Niemand am Strand kämpfte mehr. Ob durch das Beben von den Füßen gerissen und nun am Boden liegend, oder sich gerade wieder aufrichtend, die Augen aller waren auf die bedrohliche Wolkensäule gerichtet, die binnen weniger Momente die gesamte Klippe in ihrem Inneren verschluckt hatte. Sie reichte bis zur Wasseroberfläche hinab. Wo sie die Wogen berührte, schäumte und dampfte das Wasser, als würde es kochen.
Suvare und Calach waren gestürzt, ebenso zwei der Piraten, die sie angegriffen hatten. Mit offenstehendem Mund tastete die junge Frau nach ihrem Dolch im Sand, ohne ihren erschrockenen Blick von dem Bild abzuwenden, das sich in einiger Entfernung vom Strand bot. Blut floss ihr aus einer Platzwunde an ihrer rechten Stirnseite in den Augenwinkel, doch sie zwinkerte nicht einmal. Corrya war es bisher gelungen, auf den Beinen zu bleiben. Er hatte seine schwarzen Lederstiefel in den Sand gebohrt, als wolle er sich darin verankern. Direkt neben dem Hauptmann schwankte ein Mann mit einem dichten roten Vollbart, der sein Gesicht wie wucherndes Unkraut fast bis zu den Augen bedeckte, hin und her, hielt sich aber ebenfalls weiter aufrecht. Sowohl er als auch Corrya hatten offenbar völlig vergessen, dass sie eben noch an nichts anderes gedacht hatten als daran, einander umzubringen.
Da schoss etwas wie ein langgezogener grauer Finger aus der Wolkensäule heraus. Das Beben nahm zu. Entsetzte Schreie wurden laut. Während das wirbelnde Gebilde an seinem unteren Ende an Masse zunahm und nun fast bis zum Strand hin reichte, verjüngte es sich nach oben hin wie eine dünne Schnur. Es schien dem Himmel, in den es hineinragte, seine Farbe zu entziehen. Der um sich selbst rasende dünne Finger spie direkt über sich einen grauen Dunst aus, der sich zusehendes vergrößerte und das tiefe Blau übermalte, bis es den Ton einer düsteren Sturmlandschaft angenommen hatte.
Gleichzeitig setzte sich die heulende Wolkensäule in Bewegung und begann landeinwärts zu wandern.
»Lauft!«, herrschte Arcad Garal und Enris an.
Der Hafenarbeiter erhob sich wie benommen. Sein ungläubiger Gesichtsausdruck ließ ihn aussehen, als hätte er den Verstand verloren. Er hielt sich beim Aufstehen die verletzte Schulter. Nasser Sand klebte an seinem Rücken.
Enris aber hatte sich nicht gerührt. Der Elf stieß ihn so grob, dass er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. »Schwimmt zum Schiff, das ist der einzig sichere Ort! Ich kümmere mich um die anderen.«
Die beiden starrten den Endar an, als hätte er in einer
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