Runlandsaga - Feuer im Norden
Beschützer wandte. Von Zeit zu Zeit kam es vor, dass ein Kranker sie bat, Talháras von seinem Leiden zu erzählen und ihn um Hilfe zu bitten, oder dass die Bewohner einer Siedlung wissen wollten, wann das Wetter am günstigsten wäre, um auf einer gerodeten Lichtung Getreide auszusäen. Pemiti und Tekina beschützten nicht nur die Höhle des Urahnen, sie sprachen auch mit ihm und berichteten den anderen, was dieser seinen Schützlingen mitzuteilen hatte.
Tanati war sofort mit Neria zu den beiden gegangen. Sie hatten den Bericht ihrer Tochter bestätigt: Neria war zum Lager des Weißen Wolfs gekommen, denn Talháras hatte nach ihr verlangt. Doch weder Pemiti noch Tekina hatten gewusst, was der Wächter von Neria gewollt hatte. Ihre Bestürzung wurde nur von der Tanatis übertroffen, als die junge Frau ihnen erzählte, was Talháras ihr in einer Vision gezeigt hatte. Sie waren so entsetzt gewesen, dass Neria selbst jetzt, mehrere Meilen von der Siedlung entfernt und auf dem Weg, ihr unbekanntes Schicksal zu erfüllen, von dem der Ahne gesprochen hatte, es immer noch kaum fassen konnte, dass ihre Familie und die Anführer des Dorfes sie tatsächlich hatten ziehen lassen.
»Sie wird nicht gehen!«, hatte ihre Mutter erklärt und dabei einen strengen Seitenblick zu ihrer Tochter hinüber geworfen, der gar nicht nötig gewesen wäre. Neria war viel zu überwältigt von all dem gewesen, was in der Nacht zuvor geschehen war, um auch nur daran zu denken, das Dorf zu verlassen.
Es war Pemiti gewesen, der ihrer Mutter geantwortet hatte. Erst mit seinen Worten hatte sie begonnen zu verstehen, dass es niemals ihre Entscheidung oder die ihrer Mutter gewesen war.
»Talháras hat zu ihr gesprochen«, hatte der alte Mann erwidert – ruhig, aber bestimmt. »Von seinem Wohnort in den Geistwelten sieht der Urahne weiter, als wir Sterblichen erkennen können. Er hat diesem Mädchen von einer großen Gefahr erzählt, so schrecklich, dass sie unser aller Leben bedroht. Seine Augen haben gesehen, dass sie es ist, die jener Gefahr entgegentreten muss. Das können wir nicht verleugnen.«
»Was meinst du damit?«, rief Tanati aufgebracht.
»Dass du sie gehen lassen musst. Wir alle müssen sie gehen lassen. Wenn sie hier bleibt, wenn wir nicht das tun, was Talháras ihr aufgetragen hat, dann wird alles, was er uns sagt, damit bedeutungslos. Die Stimme des Wächters wird keinen Einfluss mehr haben. Talháras wird verstummen, und unser Stamm wird ohne die Führung der Geister sein, ausgestoßen und verloren. Sie muss gehen!«
»Aber wo soll ich hin?«, mischte sich Neria ein. Furcht lag in ihrer Stimme. Eine kalte Geisterhand fasste an ihre Kehle. Sie war nie länger als ein oder zwei Tagesreisen von Zuhause fort gewesen. Allein die Vorstellung, die Siedlung auf ein unbekanntes Ziel hin zu verlassen, hatte ihr einen Schauer über den Rücken laufen lassen. »Ich weiß nicht einmal, was ich tun soll! Was will der Ahne von mir?«
»Das hat er dir doch deutlich gesagt«, erwiderte Tekina, die fast die ganze Zeit über still neben Pemiti gesessen und die junge Frau beobachtet hatte. »Die Hohe Cyrandith hat dich in ihrem Schicksalsnetz dazu ausersehen, dem Übel, das uns bedroht, entgegenzutreten. Deshalb hat Talháras dich zu ihm gerufen und dir den Auftrag gegeben, nach Westen zu gehen. Er hat von anderen gesprochen, die ebenfalls von der Herrin des Netzes dazu ausersehen wurden, sich der Gefahr für unsere Welt zu stellen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass du sie treffen wirst. Wenn du dich auf den Weg machst und unser Dorf verlässt, gehst du mit dem Segen unseres Ahnen und all derer, für die du diese Reise auf dich nimmst.«
Tanati war überhaupt nicht überzeugt gewesen. »Was meinst du mit diesen anderen , mit denen sie angeblich zusammen treffen soll? Sprich es doch aus, Tekina: Du meinst die Zweibeiner! Gewöhnliche Menschen, keine Voron wie wir. Wie glaubst du denn, dass Neria mit ihnen umherziehen könnte? Sie ist nicht wie du! Wenn der nächste Vollmond am Himmel aufsteigt, wird sie sich verwandeln und jagen, ob sie will oder nicht. Und was dann? Jemand wie wir kann nicht unter Zweibeinern leben. Sobald man sie dabei beobachtet, wie sie zu einem Wolf wird, werden die Menschen Angst vor ihr bekommen und sie töten!«
Auf einmal stieß etwas dicht vor Neria aus dem Gebüsch und flatterte hoch in die Luft. Erschrocken zuckte sie zusammen und blieb abrupt auf dem Weg stehen. Sie blickte dem Eichelhäher nach, der sie so rüde
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