Runlandsaga - Sturm der Serephin
der ihm am meisten Angst eingejagt hatte.
Vorsichtig erhob er sich und schritt langsam wieder vorwärts. Stückchen für Stückchen beugte er sich vor. Ganz allmählich erweiterte sich sein Blickfeld aus dem offenen Fenster. Der Fremde an der Ecke zum Lagerhaus wurde sichtbar.
Er drehte sich gerade um!
Heißes Blut schoss Themet ins Gesicht, dann atmete er erleichtert aus. Der Mann, den er für einen seiner Entführer gehalten hatte, war ein völlig Fremder! Von hinten hatte er ihm ähnlich gesehen, doch sein Gesicht war viel schmaler, auch besaß er keine alten Narben von Pusteln aus seiner Jugend.
Themet beobachtete, wie der Unbekannte plötzlich die Hand hob und winkend auf jemanden zuging, den Themet vom Fenster aus nicht sehen konnte. Gleichzeitig wich der Mann Mari aus, die eben mit einem Korb aus der Richtung des Hafens kam und sich ohne aufzublicken dem Hintereingang des Gasthofs unter dem Fenster des Jungen näherte. Wahrscheinlich hatte die Küchenhilfe seiner Eltern Fische eingekauft. Themet hörte, wie sich die Tür öffnete und Schritte durch den Flur hallten. Unvermittelt begann sein Magen laut zu rumoren. Er wandte sich vom Fenster ab und zog sich an, um unten zu frühstücken.
Seine Mutter schälte gerade einen großen Haufen Kartoffeln, als er die Küche betrat. Hinter ihr am Herd beschäftigte sich Mari damit, die Makrelen auszunehmen, die sie für die heutigen Gäste eingekauft hatte. Rena schaute kurz auf, als sie Themet hereinkommen hörte, dann griff sie sich eine weitere Kartoffel und setzte ihr Messer an.
»Na, auch schon wach?«
Er nickte und setzte sich zu ihr an den Tisch. Von einem Frühstück war weit und breit nichts zu sehen. Dafür hatte er nun den Makrelengeruch in der Nase. Themet verzog das Gesicht. Fisch hatte er noch nie ausstehen können, wahrscheinlich, weil es ihn einfach zu häufig zu essen gab. Seine Eltern meinten oft, der Gasthof würde nicht mehr viel abwerfen, seit die Fellhandelsstation ihre eigene Schenke eröffnet hatte, und in einer Hafenstadt war Fisch immer billig.
»Ist schon spät«, sagte er. »Ihr habt mich gar nicht geweckt.«
»Vater und ich dachten, du könntest nach all der Aufregung von gestern Abend etwas Schlaf vertragen. Wir haben dir etwas zu essen warmgehalten. Auf dem Herd sind noch Rühreier. Etwas Brot liegt auch dabei.«
Themets Gesicht hellte sich auf. Rühreier waren sein Lieblingsgericht. Eigentlich hatte er mehrere Lieblings-gerichte, vor allem mochte er alle Arten von Honiggebäck, das zu Festtagen auf den Tisch kam. Aber im Augenblick fühlte er sich nach dieser langen Nacht so ausgehungert, dass die Vorstellung von goldbraun gebratenen Eiern seinen Magen regelrecht zusammenkrampfen ließ und Rühreier mit Brot sich in die Krönung aller Lieblingsgerichte verwandelten.
Er sprang vom Stuhl auf, schnappte sich das Essen auf dem Herd, setzte sich wieder zu seiner Mutter und begann, sich sein Frühstück in den Mund zu schaufeln, als gäbe es danach nie wieder etwas zu essen.
Mari blickte ihm mit einem belustigten Lächeln nach, eine Makrele in beiden Händen, die sie gerade in Mehl wenden wollte.
»Wo ist Vater?«, fragte Themet mit vollem Mund.
»Er schläft heute auch länger«, sagte Rena ruhig, ohne aufzuschauen. Sie schälte weiter ihre Kartoffel, aber der Junge sah, dass die Schalen nun dicker wurden, als ob seine Mutter plötzlich nicht mehr darauf achtete, das Gemüse möglichst groß zu lassen. Er begann, etwas langsamer zu essen.
Ihm war klar, was es hieß, wenn sein Vater länger schlief. Es bedeutete, dass er am Abend zuvor lange aufgeblieben war und getrunken hatte. Im letzten Jahr war das immer häufiger vorgekommen. Themet mochte noch ein Kind sein, dennoch wusste er genau, was das Trinken anrichten konnte. Wenn man in einer Schenke aufwuchs, fand man das schnell heraus, egal, wie jung man war.
Manchmal war er nachts im Bett hochgeschreckt, weil ein paar Betrunkene vor der Tür in Streit geraten waren und sich die Köpfe einschlugen. Barfuß war er dann ans Fenster geschlichen und hatte zugesehen, wie sein Vater versucht hatte, die Raufbolde zu trennen. Wenn es mehr als zwei oder sie dermaßen in Rage geraten waren, dass man Angst haben musste, beim Dazwischengehen selbst etwas abzubekommen, hatte Arvid die Stadtwache zu Hilfe rufen müssen.
Die Prügeleien betrunkener Gäste waren schlimm. Ihre wütenden roten Gesichter, ihr erregtes Gebrüll und das völlige Aufgeben jeder Zurückhaltung ängstigten Themet. Aber
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