Runlandsaga - Sturm der Serephin
so wenig, wie man eine über die Klippen ins Meer geworfene Münze wieder aus der See herausholen konnte, das alles fraß sich als ein bitterer, schmerzender Klumpen in den Bauch des Jungen. Für einen kurzen Augenblick zuckten seine Mundwinkel, doch Arvid schien nichts zu bemerken, und wenn, dann ließ er es mit keiner Regung erkennen.
Laut sagte Themet: »Ich hab geschlafen wie ein Toter. Von dem Lärm unten hab ich gar nichts mitbekommen.«
»Das ist gut!«, meinte Arvid. Er gähnte. »Ich leg mich noch ein bisschen hin. Heute Nachmittag haben sich Gäste angesagt. Es wird wieder ein langer Abend werden.«
Themet trat von einem Bein auf das andere.
»Papa?«
»Was denn?«
»Du wolltest doch mal mit mir zum Angeln gehen.«
»Ay, das hatten wir geplant.«
»Können wir das nicht heute noch machen? Es muss ja gar nicht lange sein. Nur eine Stunde! Wir wären bestimmt zurück, bevor die ersten Gäste kommen.«
Arvid schüttelte den Kopf. Der bittere Klumpen, den der Junge im Bauch verspürte, fühlte sich plötzlich doppelt so schwer und drückend an.
»Heute geht es nicht. Ich bin völlig erledigt. Wenn ich nicht noch etwas Schlaf abkriege, bin ich heute Abend zu nichts zu gebrauchen. Ein andermal.«
»Immer ein andermal!«, brummte Themet enttäuscht.
»Ich kann‘s doch auch nicht ändern, Junge!«, sagte Arvid. Seine Stimme klang nun gereizt. Ihr Ton erinnerte Themet an die Art, wie sein Vater sich gegenüber seiner Mutter rechtfertigte, wenn sie miteinander stritten. Er hasste es, wenn sein Vater mit dieser Ich-kann‘s-doch-auch-nicht-ändern -Stimme redete. Wenn Erwachsene diesen Tonfall einsetzen, dann für gewöhnlich, wenn sie bei einem Streit nicht nachgeben wollten. Und was sollte man auf einem solchen Satz auch entgegnen?
Er senkte den Kopf. Es war sinnlos. Alles, was er tun konnte, war, weiter zu hoffen, dass es irgendwann an einem anderen Tag klappte, dass sein Vater dann nicht unsichtbar werden würde. Sie würden ihre Angeln nehmen, sich auf die Hafenmauer setzen und die Beine über dem Wasser baumeln lassen, während ihre Angelschnüre wie die Fäden großer Spinnen in der Sonne glänzten.
»He, jetzt sei nicht beleidigt«, sagte Arvid. Er versuchte, seinem Jungen über den Kopf zu streichen, aber Themet drehte sich schnell weg. Er hatte beschlossen, nichts mehr zu sagen, trotzdem sollte sein Vater ruhig wissen, wie verärgert und enttäuscht er war.
»Ich versprech dir, noch vor dem Vellardinfest gehen wir angeln. Großes Ehrenwort!«
Themet sah ihn an. Er wusste, dass Arvid wirklich glaubte, sein Versprechen halten zu können; doch ebenso wusste er, wie oft sein Vater Versprechen wie dieses gebrochen hatte. Und dennoch blieb ihm nichts anderes übrig, als ihm wieder zu glauben. Jener Glaube, so lächerlich er in anderen Augen anmuten mochte, war das Einzige, was den bitteren Schmerz, den er verspürte, lindern konnte. Das Flüstern einer Stimme in seinem Geist, die sich wie seine eigene anhörte und ihm sagte, dass diese Hoffnung die Bitterkeit seines Schmerzes nur nährte, verhallte ungehört.
»Wirklich großes Ehrenwort?«, fragte er.
Arvid zog ihn zu sich heran und umarmte ihn.
»So wahr ich hier stehe und vor Müdigkeit gleich umfalle.« Er ließ ihn los. »Und damit das nicht passiert, leg ich mich jetzt noch mal hin ... War Neral von der Wache schon hier? Tolvane meinte gestern, er würde ihm Bescheid geben, dass sie im Hafen ein Auge auf die Kerle von gestern haben sollten.«
Themet schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Falls doch, hat Mama beim Frühstück nichts davon gesagt.«
»Verdammt«, brummte Arvid, »wenn man die Wachleute tatsächlich mal braucht, dann lassen sie sich Zeit! Na, vielleicht taucht er ja später noch auf. Weck mich dann, in Ordnung?«
»Mach ich«, erwiderte Themet. Er hoffte, dass der Mann von der Wache erst dann auftauchen würde, wenn er wieder zurück wäre.
»Bis nachher«, verabschiedete sich Arvid und schloss die Tür.
Themet stand einen Moment unschlüssig auf dem Flur. Dann drehte er sich um und ging um einiges leiser als zuvor die Treppe hinab. Am Eingang zur Küche bückte er sich, hob seine Jacke wieder auf und zog sie an. Immer noch bemüht, kein Geräusch zu verursachen, durchquerte er den Schankraum und verließ den Schwarzen Anker durch die Vordertür.
Er ahnte nicht, dass er gerade zum letzten Mal eine Nacht unter dem Dach dieses Hauses verbracht hatte. Bis zum Ende seines eigenen Lebens würden diese kurzen Augenblicke
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