Runlandsaga - Sturm der Serephin
so schnell es ihm möglich war. Darin bestünde die beste Hilfe für die anderen: den Rat über das zu benachrichtigen, was hier geschah. Erneut schaute er zum Eingang des Turms hinüber, zu dieser halb offenen Tür, hinter der Mirka und Arvids Sohn verschwunden waren.
»Ich bin verflucht noch mal zu alt, um noch vernünftig zu sein!«, murmelte er zwischen den Zähnen und lief ins Freie.
Der Abstand zwischen dem Schuppen und der Tür zur Schwarzen Nadel zog sich wie in einem hässlichen Albtraum in die Länge. Baram rannte über den verwaisten Hof, so schnell ihn die Beine trugen, den Kopf ständig nach rechts und links drehend, um zu sehen, ob er Gesellschaft bekäme.
Mit einem Mal fühlte er sich alles andere als hochgewachsen, sondern wie ein kleines Tier, das ein freies Feld zu überqueren hatte, über dem Raubvögel kreisten. Jeden Augenblick konnte einer von ihnen herunterstoßen, um ihn zu packen und ihm das Leben aus der Brust zu quetschen.
Keuchend erreichte er die Tür zur Nadel, stieß sie auf und blieb schwer atmend im Halbdunkel stehen, einen letzten, gehetzten Blick hinter sich werfend.
Nichts. Der Hof war so ruhig, als versteckte Baram sich noch immer dort hinten im Schuppen, als hätte er nicht gerade den Hof überquert wie von allen Dämonen der Finsternis gejagt.
Er hielt inne und wartete eine Weile mit geschlossenen Augen, bis sein heftiger Herzschlag sich ein wenig beruhigte. Ohnmächtig zu werden, konnte er sich nicht leisten. Er mochte ein alter Mann sein, aber er war immer noch Baram, der Bär, und wenn er seinem breitschultrigen Körper etwas abverlangte, dann hatte dieser das gefälligst auszuhalten, wie er es sein ganzes Leben lang getan hatte!
Schließlich öffnete er die Augen wieder und begann, die Treppe zur Spitze der Nadel zu erklimmen.
Mit jedem Stockwerk, das er höher im Turm emporschritt, sank seine Hoffnung mehr, hier jemanden anzutreffen. Im Gebäude herrschte Totenstille. Die Lautlosigkeit fühlte sich beinahe greifbar an und wurde nur von der besorgten Stimme in ihm durchbrochen, die ihm zuflüsterte, dass er hier kostbare Zeit verschwendete. Was, wenn er die beste Gelegenheit, ungesehen aus Carn Taar zu entkommen, gerade heldenhaft in den Wind geschossen hatte? Was, wenn er die Nadel wieder hinabstiege und die Mörder der Wachleute schon im Innenhof auf ihn warteten?
Dann jedoch blitzte Thajas Gesicht vor seinen Augen auf. Die Heilerin hatte sich, seitdem ihr Mann und sie in Felgar angekommen waren, einer ganzen Reihe von Leuten angenommen, die oft schwer an ihren Krankheiten gelitten hatten. Sie war nicht in der Lage gewesen, allen zu helfen – den Tod hatte noch kein Heiler besiegen können. Das war nicht einmal einer Frau gelungen, die im Reich der Erstgeborenen gelebt hatte und dort als Mensch von ihnen geduldet worden war, wie man sich in der Stadt erzählte. Aber Thaja hatte es immer wieder geschafft, dass selbst diejenigen, die gewusst hatten, dass auf sie bereits das Totenboot wartete, um sie über das sonnenlose Meer zu bringen, ihren Frieden mit diesem Wissen schließen konnten. Die Kraft der Heilerin wirkte ansteckend. Sie hatte viel für die Leute in Andostaan getan. Baram hatte nicht vor, sie ihrem Schicksal zu überlassen.
Schließlich erreichte er die obersten Zimmer der Nadel. Mit leiser Stimme rief er eindringlich Margons und Thajas Namen und lief von Raum zu Raum. Doch die Befürchtungen, die ihn auf dem Weg über die steinerne Wendeltreppe verfolgt hatten, stellten sich als wahr heraus: Weder im Schlafgemach der beiden, noch in dem kleinen Raum, der als Küche und Vorratslager diente, hielt sich jemand auf. Auch das Studierzimmer erwies sich als verlassen. Baram betrat den Raum, in dem er am Vortag noch zusammen mit Thaja gestanden hatte, und wischte sich den Schweiß von der Stirn, während er sich umsah. Für einen Moment kam ihm der verrückte Gedanke, dass sich gleich mit einem lauten Knarren die Tür des Schrankes an der gegenüberliegenden Wand öffnen und die Heilerin sowie ihr Mann aus dem Versteck heraustreten würden, in das sie sich geflüchtet hatten. Baram schüttelte den Kopf über diese lächerlich übertriebene Vorstellung. Aber hatte ihn nicht letztlich genau dieses verrückte Hoffen hier heraufgetrieben?
Sein Blick fiel auf die am Boden liegenden Bücher und die Scherben der zerbrochenen Karaffe. Umgeben von der sonstigen Ordnung im Raum schienen sie wie aus voller Kehle zu brüllen, dass hier etwas Außergewöhnliches
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