Runlandsaga - Wolfzeit
Schweiß, ihr verbranntes Essen. Ganz in der Nähe ist ein Ort, an dem sie sicher ist. Auch das weiß sie, weil sich der Schatten der Menschenfrau in ihr daran erinnert.
Sie wendet sich der Wand hinter ihr zu und schnüffelt an dem schmalen Spalt zwischen den Planken und dem Holz der Tür. Dieses Menschending lässt sich einrennen, wenn man sich dagegen wirft. Ihre Muskeln spannen sich, als sie Anlauf nimmt.
Schnell blickte sich Suvare um. Mittschiffs saß Calach unter der am Mast befestigten Laterne und war damit beschäftigt, ein Segel auszubessern. Neben ihm stand Daniro, den sie für die Wache eingeteilt hatte. Die beiden waren ins Gespräch vertieft. Neben ihnen lehnten Aros und Corrya an der Bordwand. Offenbar waren sie an Deck gegangen, um vor dem Schlafengehen noch einmal frische Luft zu schnappen. Sonst war auf die Schnelle niemand zu entdecken. Sie zog Teras mit sich und eilte auf die vier zu.
»Alle Mann unter Deck!«, rief sie laut. »Beeilt euch!«
Ihre Leute hoben neugierig die Köpfe, ohne aufzustehen. Auch die beiden Krieger wandten sich ihr zu.
»Was ist denn los?«, wollte Daniro wissen.
»Neria verwandelt sich«, erwiderte Suvare. »Wir müssen schnellstens das Deck freimachen. Ich gebe euch Bescheid, wenn ihr wieder hochkommen könnt.«
Corrya kam näher. Seine Miene war wieder einmal düster. »Ist es also soweit.«
»Soll sie hier etwa frei herumlaufen?«, empörte sich Calach. Er warf den Segelstoff beiseite und kam auf die Füße.
»Nur solange, bis wir sie vom Schiff herunter haben«, gebot Suvare. »Dann kann sie sich an Land austoben, bis sie wieder sie selbst ist.«
»Wie machen wir es, dass sie über Bord springt?«
»Wir treiben sie in Richtung Bordwand. – Daniro, stell dich an die Luke zum Unterdeck. Lass niemanden hochkommen, solange ich nicht Entwarnung gebe!«
»Geht klar!«, erwiderte Daniro knapp und verschwand unverzüglich. Suvare wandte sich Aros und Corrya zu. »Euch beide brauche ich, um Neria in die Enge zu treiben. Haltet Abstand, damit sie euch nicht angreift, aber sorgt dafür, dass wir sie zur Bordwand bekommen.«
»Und was soll ich machen?«, rief Calach eifrig dazwischen. Seine Hand umfasste den Griff des schweren Entermessers an seinem Gürtel.
»Geh du nach unten«, gab Suvare zurück. »Je weniger Leute hier herumspringen, desto besser.«
Auf Calachs Gesicht spiegelte sich Enttäuschung. Er setzte zu einer Erwiderung an, doch seine Worte wurden ihm durch einen lauten Knall aus der Richtung der Khorskajüte abgeschnitten. Deren Tür erbebte in den Angeln, blieb aber weiterhin verschlossen.
»Bei allen Geistern!«, stieß Aros hervor. Er ging vorwärts, als wollte er dem riesigen Wolf entgegentreten und ihn zum Kampf herausfordern, sobald er sich zeigte.
Suvare stellte sich ihm in den Weg. »Bleibt, wo ihr seid!«, rief sie. »Ich will nicht, dass auf meinem Schiff heute Nacht Blut fließt. Lasst mich die Tür öffnen. Ich war bis zuletzt bei ihr. Hoffentlich erkennt sie mich noch.«
Ohne eine Erwiderung von Königin Tarighs Hauptmann abzuwarten, drehte sie sich um und lief auf ihre Kajüte zu. Sie hatte die Tür fast erreicht, als diese unter einem weiteren gewaltigen Schlag erzitterte und aufflog. Ein riesiger Schatten sprang durch den Türrahmen und mitten auf Deck, dass die Planken ächzten. Gerade noch rechtzeitig hechtete Suvare mit einem Satz zur Seite, strauchelte und fiel zu Boden. Aus den Augenwinkeln sah sie das gewaltige Tier, das die Tür zur Kajüte aufgesprengt hatte. Vor Entsetzen standen ihr die Haare zu Berge.
Dieses vierbeinige Ungeheuer mit dem pechschwarzen, gesträubten Fell sollte Neria sein? Die kleine, unscheinbare Frau, die sie schon seit Wochen begleitete?
Sich vorsichtig wieder aufrappelnd, bemüht, keine hastigen Bewegungen zu verursachen und die Wölfin nicht aus den Augen zu lassen, erkannte Suvare, dass sich dieses Wesen nicht so leicht in irgendeine Richtung steuern lassen würde, wie sie sich das vorgestellt hatte. Das da war kein gewöhnlicher Wolf, der einem Menschen gerade bis zu den Knien reichte. Dieser Berg aus Muskeln und Fell befand sich mit ihr fast auf Augenhöhe.
Ein Schrei hallte über das nächtliche Deck. Sofort spannte sich die Haltung der Wölfin an. Ihr Kopf ruckte herum und blickte mittschiffs. Calach hatte sein Entermesser gezogen. Der Stahl schimmerte matt im Schein der Laterne am Mast. Neben ihm stand Daniro auf der Treppe zum Unterdeck. Er war bemüht, die Leute im Inneren der Tjalk daran zu
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