Runlandsaga - Wolfzeit
anfangen konnte, grub die Frau ihre Zähne in Suvares Wange. Der Schmerz erschlug sofort ihre wirren Gedanken und ließ nichts anderes zurück als den Wunsch, sich in den Armen dieser Fremden zu vergessen. Sie wusste weder, wie die Frau hieß noch woher sie stammte, aber das spielte keine Rolle. Unter dem Blick dieser Augen, die sie mit einer eigenartigen Mischung aus Zärtlichkeit und Kühle musterten, verlor Suvare selbst ihren Namen und ihren Stand.
Für die Dauer ihrer Umarmung war sie keine Eignerin einer Tjalk, kein Khor, keine Anführerin einer Mannschaft, für die sie Verantwortung trug. Sie fühlte sich bloßgelegt wie ein scheues Tier ohne Deckung, und es kümmerte sie nicht. Noch vor kurzer Zeit wäre ihr die Vorstellung, nichts von all dem zu sein, unerträglich erschienen. Doch der Rausch von Vellardin hatte sie ihrer Angst beraubt, wie er es mit so vielen anderen Menschen in all den langen Jahren getan hatte, seitdem man sich in Runland an dieses Fest erinnerte. Er hatte sie mit Macht ergriffen, zum ersten Mal, und er füllte wie zuvor das feuerbeschienene Haar der Fremden, das ihre Wangen berührte, ihren Verstand aus – ein heller Schein, dem die Finsternis dieser Frühlingsnacht nichts anhaben konnte, sondern der im Gegenteil noch anwuchs, als ob die Dunkelheit selbst sie emporheben würde, um sich vor ihr zu verneigen. Sogar mit geschlossenen Augen leuchtete dieses weizenfarbene Haar, wuchs immer weiter, verwandelte sich in ein sonnendurchflutetes Feld, das die Strahlen der über ihr wandernden Sonne wärmte.
Doch selbst in der Schönheit dieses Versprechens von einem kommenden Sommer lag ein Schmerz verborgen. Zuerst fühlte die junge Frau ihn nur körperlich, in den Bissen, die ihr die Fremde zufügte, langsam und allmählich den Druck ihrer Zähne erhöhend, während sie gleichzeitig mit ihren Händen auch Suvares Lust steigerte. Dann begann der Schmerz tiefer und tiefer zu sinken und in die Bilderwelt ihres Verstandes einzutauchen. Sie fühlte, wie sich in die Schönheit des vor ihr ausgebreiteten Sommertages ein Schatten grub. Nichts hatte sich dem Anschein nach verändert, die mittägliche Sonne schien auch weiterhin hell und wärmend auf das goldene Feld herab, und der Horizont war erfüllt von einem tiefen Blau, wie es zu keiner anderen Zeit im Jahr zu sehen war.
Dennoch war etwas anders. Der Schmerz hatte dem Bild eine Tiefe eingehaucht, die es vorher nicht besessen hatte, eine Ahnung von der Unbeständigkeit dieser so von Glück durchtränkten Zeit. Auch der kommende Sommer, den die Vellardinnacht versprach, würde nicht andauern. Der Wind, der heiß und schwer über die Ähren strich, flüsterte von übrig gebliebenen Stoppeln im Spätherbst, zwischen denen sich rau schimpfende Krähen sammelten, und von den ersten Schneeflocken. Sie taumelten aus einem diesigen, verhangenen Himmel, und die Sonne schimmerte wächsern wie ein gekochtes Ei.
Die dunklen Ahnungen von der kalten Jahreszeit ersetzten das sonnendurchflutete Bild vor Suvares Augen nicht, aber sie bereicherten es, verstärkten seine Schönheit auf eine Weise, die ihr tiefer ins Herz schnitt als die Sehnsucht nach einem nicht enden wollenden Sommer. Der Lauf des Lebens war ebenso wenig aufzuhalten wie der Lauf des Jahres. Geborgenheit und Glück dauerten nicht an, aber ihre Begrenztheit gab ihnen erst eine Bedeutung. Nie zuvor hatte Suvare dies so deutlich gefühlt wie jetzt. Frühling, Sommer, Herbst und Winter kreisten um zwei Körper, deren Leidenschaft füreinander sich in alle Richtungen verströmte und zu den brennenden Speichen eines gewaltigen Rades anwuchs. Nur eines blieb gleich: die beiden Körper in der beständigen Lust ihrer Umarmung, die feurige Achse des Rades.
Sie liebten sich, während Gelächter und Gesang die Dunkelheit um sie herum zum Leuchten brachte und das Feuer in der Mitte des Platzes allmählich herunterbrannte.
Die Nacht war bereits fortgeschritten, aber die Dämmerung hatte noch nicht eingesetzt, als sie schließlich erschöpft nebeneinander lagen. Die Krone des Baumes über ihnen war ein undeutlicher schwarzer Fleck, der nur an manchen Stellen wenige Sterne offenbarte. Suvare vernahm die nahen Stimmen, ohne genau verstehen zu können, was die einzelnen Leute sagten. Sie lauschte dem schnellen Atem der Frau neben ihr, der allmählich ruhiger wurde. Ihre Finger ruhten auf dem Handrücken der Fremden und fühlten die starke Wärme, die von ihrem Körper ausging.
»Wie heißt du eigentlich?«,
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