Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rushdie, Salman

Rushdie, Salman

Titel: Rushdie, Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luka und das Lebensfeuer
Vom Netzwerk:
Wochen, Monate und Jahre, weshalb ich einen so großen Vorrat an
harten Kopfnüssen habe, dass er niemals versiegen wird. Vor allem aber versteht
Ihr nicht, dass ich etwas Wichtiges begriffen habe. Nämlich dass diese Welt
hier, in der ich bin, diese Welt der Magie, nicht bloß irgendeine alte magische
Welt ist, sondern jene, die mein Vater erschuf. Und da sie von ihm und niemand
anderem stammt, weiß ich Geheimnisse von allem und jedem darin, unter anderem
auch, o schrecklicher alter Mann, von Euch.»
    Tatsächlich
aber antwortete er: «Und wenn Ihr verliert, alter Mann, dann werdet Ihr nicht
nur ein Leben verlieren, sondern Schluss mit Eurem machen, den Terminator
gegen Euch selbst richten und Euer Leben terminieren, endgültig und ein für
alle Mal.»
    Wie der alte
Mann lachte! Er wieherte und grölte, bis ihm die Tränen kamen, bis es ihm nicht
nur aus den Augen, sondern auch aus der Nase tropfte. Er hielt sich die Seiten
und hüpfte begeistert auf und ab, wobei sein langer weißer Bart wie eine
Peitsche durch die Luft knallte. «Der ist nicht schlecht», keuchte er
schließlich, nach Atem ringend. «Wenn ich verliere!
Das ist unbezahlbar. Fangen wir an.» So leicht aber ließ sich Luka nicht aufs
Glatteis führen. Rätselrater sind Bauernfänger, das wusste er, deshalb musste
man sie vor dem Wettkampf festnageln, sonst versuchten sie sich hinterher aus
allen Abmachungen irgendwie herauszuwinden. «Und wenn Ihr verliert, tut Ihr,
was ich Euch gesagt habe», drängte er.
    Der Alte
vom Fluss zog ein mürrisches Gesicht. «Ja, ja, ja», antwortete er. «Wenn ich
verliere, werde ich mich selbst terminieren. Auto-Termination. Die selbstvollzogene
Termination meiner selbst. Ha, ha, ha. Dann ballere ich mich in Millionen
Stücke.» - «Mit permanenter Wirkung», fügte Luka mit fester Stimme hinzu. «Ein
für alle Mal.» Der Alte wurde ernst, und sein Gesicht nahm eine unangenehme
Farbe an. «Also gut», bellte er. «Ja, permanente Termination, wenn ich
verliere, in einem Wort: Permination! Aber du
wirst schon bald sehen, mein Kind, dass du derjenige sein wirst, der all seine
Leben verliert.»
    Bär und
Hund waren schrecklich aufgeregt, aber Luka und der Alte umkreisten einander
bereits, starrten sich an und warteten ab, wer als Erster die Augen niederschlug.
Schließlich war es der Alte, der mit harter, geifernder Stimme zu sprechen
anhob, Laute, zwischen Zähnen hervorgepresst, die hungrig nach dem Leben des
kleinen Luka lechzten.
    «Was hört
ohne Ohren, schwatzt ohne Mund und antwortet in allen Sprachen?»
    «Das
Echo», kam es von Luka, wie aus der Pistole geschossen, und er parierte
sofort: «Es hat vier Beine und kann nicht gehen; es hat vier Beine und muss
immer stehen.»
    «Der
Tisch», fauchte der Alte. «Sobald du es hast ausgesprochen, hast du es auch
gebrochen. Was ist das?»
    «Das
Schweigen. Wer sagt alles ohne Zunge? Wer sagt alles ohne Lunge? Wer sagt alles
ohne Ton? Nun sagt es schon.»
    «Der
Brief. Was entsteht aus einem Dreieck, wenn man das Ei herausnimmt?»
    «Dreck.
Welcher Stuhl hat keine Beine?»
    «Der
Dachstuhl. Wer sieht, der sieht mich nicht; mich sieht nur, wer nicht sieht.
Wer bin ich?»
    «Ein
Traum. Was gibt es seit Millionen von Jahren und ist doch nie älter als ein
Monat?»
    «Der Mond.
Wenn du nicht weißt, was es ist, dann ist es was, wenn du aber weißt, was es
ist, dann ist es nichts.»
    «Wie
einfach», sagte Luka, der kaum außer Atem gekommen war. «Ein Rätsel.»
    Sie hatten
sich schneller und schneller umrundet und die Rätselfragen immer rascher
aufeinander abgefeuert. Doch dies war nur der Anfang, das wusste Luka; bald
würden die Zahlenrätsel kommen, dann die Geschichtenrätsel. Das Schwierigste
hatte er also noch vor sich. Und da er sich nicht sicher war, wie lange er
durchhalten würde, kam es darauf an, den Alten weder Art noch Tempo des
Wettkampfs bestimmen zu lassen. Höchste Zeit, seinen Joker auszuspielen.
    Er hörte
auf, im Kreis zu laufen, und setzte seine grimmigste Miene auf. «Was», fragte
er, «hat am Morgen vier Beine, mittags zwei und am Abend drei?»
    Der Alte
vom Fluss blieb nun ebenfalls stehen, und zum ersten Mal klang seine Stimme ein
wenig matt, zitterten seine Glieder. «Worauf willst du hinaus?», fragte er
kleinlaut. «Das ist das berühmteste Rätsel der Welt.»
    «Ja,
stimmt», sagte Luka, «aber Ihr spielt auf Zeit. Nennt die Antwort.»
    «Vier
Beine, drei Beine, zwei Beine», sagte der Alte vom Fluss. «Das weiß doch jeder,
ha! Ist die

Weitere Kostenlose Bücher