Rushdie, Salman
das ein gutes
oder ein schlechtes Zeichen?, fragte sich Luka.) Soraya starrte zum fernen
Horizont hinüber, und hätte Luka nicht gewusst, dass sie keine Angst kannte,
wäre ihm der Gedanke gekommen, dass sie sich fürchtete. Er ging zu ihr, und es
überraschte ihn, als sie nach seiner Hand griff und sie festhielt. «Was ist?»,
fragte er, doch sie schüttelte nur heftig den Kopf und gab zunächst keine
Antwort. Dann sagte sie mit leiser Stimme: «Ich hätte dich niemals herbringen
sollen. Dies ist kein Ort für dich.»
Luka
erwiderte ungeduldig: «Aber jetzt sind wir hier, das ist doch prima. Wir
sollten lieber nach dem Speicherpunkt suchen.»
«Und was
dann?», fragte Soraya.
«Dann»,
stammelte Luka, «dann tun wir, was als Nächstes ansteht.»
«Ich habe
dir doch gesagt, dass man mit dem Teppich nicht durch die Großen Feuerringe
fliegen kann», erwiderte Soraya. «Das Herz der Magie aber und alles, wonach
du suchst, liegt jenseits der Fange. Es ist zwecklos. Wir können froh sein,
dass wir es bis hierher geschafft haben. Ich sollte dich wieder
zurückbringen.»
«Diese
Feuerringe ...?», begann Luka.
«Frag
lieber nicht», sagte Soraya. «Sie sind riesig und unpassierbar, das ist alles.
Dafür sorgt schon der Großmeister.»
«Und wenn
du Großmeister sagst...»
«Es ist
einfach unmöglich», brach es aus ihr heraus, und er konnte tatsächlich Tränen
in ihren Augen sehen. «Tut mir leid. Es ist nicht zu schaffen.»
Nobodaddy
hatte lange kein Wort gesagt, doch nun mischte er sich ein. «Wenn das stimmt»,
sagte er, «wird der Junge es vermutlich selbst herausfinden müssen. Außerdem
hat er noch sechshundertfünfzehn Leben, die er verbrauchen kann, plus dem
einen, an dem er natürlich festhalten muss. Gleiches gilt für Hund und Bär.»
Soraya
öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen, doch Luka lief bereits über die Argo. «Aufwachen!»,
rief er, «aufwachen!» Verschlafen rieben sich die Tiere die Augen. Er wandte
sich zu Soraya um und verlangte mit fester Stimme: «Zum Speicherpunkt, bitte.»
Sie nickte
ergeben. «Ganz wie du willst», sagte sie und holte den fliegenden Teppich aus
ihrer Tasche.
Wie Luka erst
jetzt auffiel, waren in jede Ecke des Teppichs Stahlringe eingelassen (hatte Resbam die auch
schon am Abend zuvor gehabt, als er für die Nacht zusammengefaltet wurde?),
und an diese Ringe wurden nun Seile geknüpft, die den Teppich mit der Argo verbanden.
Elefantenerpel und Elefantenente saßen abwechselnd vorn, um den Teppich auf dem
wahren Zeitfluss durch das Labyrinth falscher Wasserwege zu führen. Obwohl sie
rasch dahinflogen, wurde es eine lange Reise, und Luka war erleichtert, als er
endlich die goldene Kugel vor sich sah, die wie eine kleine Boje auf den Wellen
hüpfte. Zum Dank für die Gedächtnisvögel und ihre Rolle als Reiseführer bat er
sie, den Button zu drücken, woraufhin die Elefantenente in den Fluss sprang und
die goldene Kugel mit dem Kopf ankickte. Die Ziffer in der oberen rechten Ecke
von Lukas Blickfeld sprang von drei auf vier, dann auf fünf und sechs, doch
achtete er kaum darauf, denn in demselben Augenblick, in dem die Elefantenente
speicherte, veränderte sich die ganze Welt.
Schlagartig
wurde es dunkel, doch Nacht war es nicht geworden. Dies hier war eine
künstliche, schwarze, magische Dunkelheit, die Furcht einflößen sollte. Dann
stieg direkt vor ihnen ein ungeheurer Feuerball auf und breitete sich mit
mächtigem Tosen zu einer gigantischen Flammenwand am Himmel aus. «Die Mauer
zieht sich rund um das Herz der Magie», flüsterte Soraya. «Von hier aus siehst
du nur die Vorderseite. Das ist der erste Ring des Feuers.» Gleich darauf brandete
ein zweites und ein drittes Tosen auf, ein jedes lauter als das vorhergehende,
und es erschienen zwei weitere gigantische Feuerringe, der zweite Ring größer
als der erste, der dritte größer als der zweite, sodass sie um den ersten herum
aufsteigen und niedersinken konnten. Ähnlich drei ungeheuren, feurigen
Doughnuts bildeten sie eine unpassierbare Dreifachsperre. Anfangs leuchteten
die Flammen orangerot, doch wurden sie rasch blasser, bis die Ringe fast weiß
glühten. «Kein Feuer ist heißer», sagte Soraya zu Luka. «Weiße Hitze. Begreifst
du jetzt, was ich dir sagen wollte?»
Luka
nickte. Wenn diese feurigen Doughnuts das Herz der Magie schützten - den
Sturzbach der Worte, den See der Weisheit, die Wissensberge, all das -, dann
bestand für ihr Vorhaben keinerlei Hoffnung. «Dieses Feuer», fragte
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