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Rushdie, Salman

Rushdie, Salman

Titel: Rushdie, Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luka und das Lebensfeuer
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hoffen gewagt hatte, der Moment,
in dem Resham sich aus El Tiempos dunklen, unsichtbaren
Fesseln befreite. «Wir haben es geschafft», rief Soraya, und ihr Gesicht war
erneut jung und schön, Bär kein Welpe mehr, und Hund wirkte wieder kräftig und
fit. Sie waren am Zenit ihrer Reise angelangt und flogen knapp unterhalb der
Karman-Linie dahin, während Luka mit verzücktem Grauen in die Tiefen des
Weltalls starrte und beschloss, dass es ihm doch lieber war, festen Boden unter
den Füßen zu haben. Kurz darauf begann der Teppich mit dem Sinkflug, El Tiempo
und der Strudel lagen hinter ihnen. Sie hatten den Speicherpunkt verpasst, hatten
es nicht geschafft, zu ihm vorzudringen, wo auch immer er sein mochte. Also
wurde das Risiko immer größer. Sollte Luka am Ende des nächsten Levels den
goldenen Button aus irgendeinem Grund nicht drücken können, wäre er dazu
verdammt, all dies noch einmal durchzustehen, doch ohne den Schild des
Teppichs hätte er nicht die geringste Chance. Für solche Schwarzmalerei aber
blieb keine Zeit, denn vor ihnen lagen die Irrwege, eine-Trilliarde-und-einer.
     
    Mittlerweile
hatten sie fast den Oberlauf des Zeitflusses erreicht. Der breite, träge
Unterlauf lag jedenfalls weit hinter ihnen, ebenso der tückische
Mittelabschnitt. Je näher sie jedoch seiner Quelle im See der Weisheit kamen,
desto schmaler hätte der Fluss eigentlich werden sollen, um sich schließlich zu
einem bloßen Rinnsal zu verjüngen. Was vielleicht auch zutraf, doch plötzlich
umspülten ihn zahllose andere Wasserläufe, die ineinanderflossen oder sich
wieder gabelten und von oben wie Milliarden Fäden in einem verschlungenen,
flüssigen Wandteppich aussahen. Aber wo war nun der Zeitfluss? «Für mich sehen
sie alle gleich aus», gestand Luka. Und Soraya musste ebenfalls ein Geständnis
ablegen. «Bei diesem Level bin ich mir am unsichersten», erklärte sie ein wenig
beschämt. «Aber keine Sorge! Ich bring dich ans Ziel. Das ist ein Otterversprechen!»
Luka war entsetzt. «Willst du behaupten, du bist dir beim letzten Abschnitt
nicht ganz sicher, obwohl du versprochen hast, ich könnte vier Levels
überspringen? Und wir haben nicht mal gespeichert. Wenn es jetzt nicht klappt,
müssen wir die letzten beiden Levels nochmal machen ...» Die Insultana
errötete leicht. Sie war keine Kritik gewohnt und hätte vielleicht an Ort und
Stelle einen handfesten Streit mit Luka vom Zaun gebrochen, wäre sie nicht von
einem Geräusch abgelenkt worden. Genauer gesagt, war ein wiederholtes, lautes
Räuspern zu vernehmen, und beide wandten sich verärgert voneinander ab, um zu
sehen, wer der Urheber war.
    «Entschuldigung»,
sagte die Elefantenente mit einem lauten Räuspern, «aber überseht ihr da nicht
etwas?»
    «Oder
jemanden», sagte der Elefantenerpel. «Zwei Jemande, um genau zu sein.»
    «Nämlich
uns», setzte die Elefantenente erklärend hinzu.
    «Denn wer
oder was sind wir?», wollte der Elefantenerpel wissen. «Sind wir etwa
Wohnzimmermobiliar? Oder sind wir die berühmten Gedächtnisvögel der magischen
Welt?»
    «Sind wir
bloß flügellahme Enten?», fuhr die Elefantenente mit empörtem Blick in
Nobodaddys Richtung fort. «Oder haben wir unser ganzes Leben auf dem Zeitfluss
verbracht und Strudelfische aus seinen Tiefen gefangen ...»
    «... haben
aus dem Zeitfluss getrunken, ihn gelesen...»
    « Weshalb
wir, kurz und gut, den Zeitfluss kennen wie unseren Vater - was er in gewisser
Weise auch ist, da er uns ein Leben lang ernährt hat. Jedenfalls kennen wir ihn
bestimmt besser als eine Insultana von Ott, deren Land noch nicht einmal am
Fluss liegt.»

«Was
wiederum bedeutet», fuhr der Elefantenerpel triumphierend fort, «wenn wir den echten
Fluss der Zeit nicht von dieser Trilliarde Fälschungen unterscheiden können,
dann, meine Lieben, kann das niemand.»
    «Na,
siehst du», sagte Soraya zu Luka und machte sich frech das Können der Vögel
zunutze. «Ich habe dir doch gesagt, dass für alles gesorgt ist, und wie du
siehst, ist genau das der Fall.»
    Luka
beschloss, ihr lieber nicht zu widersprechen. Schließlich war es ihr fliegender
Teppich.
    Ein
Elefantenrüssel ist ein außerordentliches Organ. Man kann damit Wasser aus
vielen Kilometern Entfernung riechen, kann damit Gefahren erschnüffeln und
unterscheiden, ob herannahende Fremde freundlich oder feindlich gesinnt sind,
ja, man kann damit sogar Angst erspüren. Und es lassen sich damit über große
Entfernung hinweg ganz besondere Gerüche wahrnehmen, der

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