Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rushdie Salman

Rushdie Salman

Titel: Rushdie Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die bezaubernde Florentinerin
Vom Netzwerk:
Vergnügungen
sie in ihren verhängten Quartieren nachgingen, welchen
Genuss sie aneinander fanden, das soll hier nicht beschrieben werden. Rein blieb nur die Königin aus Akbars
Phantasie, und sie war es auch, die ihm von den Entbehrungen berichtete, welche seine Untertanen erdulden
mussten, weil irgendeine übereifrige Hofschranze seinem
Gebieter jene Zeit zu versüßen trachtete, die er daheim
verbrachte. Kaum hatte Akbar davon erfahren, hob er den
Befehl auf, ersetzte den Bauminister durch einen nicht
gar so griesgrämigen Kerl und bestand darauf, durch die
Straßen seines unterdrückten Volkes zu reiten und laut zu
rufen: «Macht so viel Lärm, wie ihr wollt! Lärm ist Leben, und ein Übermaß an Lärm verrät, dass das Leben
gut ist. Wir haben noch Zeit genug, still zu sein, wenn
wir erst einmal tot sind.» Die Stadt brach in freudiges
Getöse aus. Dies war der Tag, an dem deutlich wurde,
dass ein wahrhaft neuer Herrscher auf dem Thron saß
und dass nichts auf der Welt mehr bleiben würde, wie es
gewesen war.
    Endlich herrschte Friede im Land, doch des Herrschers
Gedanken fanden niemals Ruhe. Gerade kehrte er von
seinem letzten Feldzug zurück, bei dem er einen Emporkömmling in Surat unterworfen hatte, doch während der
langen Tage des Marschierens und Kriegführens hatte er
im Geiste ebenso mit philosophischen Problemen und
Fragen der Sprachkunde gerungen wie mit militärischen
Themen. Der Herrscher Abul-Fath Jalaluddin Muhammad, König der Könige, seit Kindertagen als Akbar bekannt, was «der Große» bedeutet, welcher neuerdings
aber, trotz der Tautologie, auch Akbar der Große genannt
wurde, der große Große also, groß in seiner Größe, doppelt groß, so groß, dass die Wiederholung im Titel nicht
nur angemessen, sondern notwendig schien, um dem
Ruhmesreichtum seines Ruhmes angemessenen Ausdruck zu verleihen, der große Mogul, also der staubige,
schlachtenmüde, siegreiche, nachdenkliche, zu Übergewicht neigende, Schnurrbart tragende, poetische, sexbesessene und absolute Herrscher, der insgesamt zu groß,
zu weltumspannend und summa summarum einfach zu
viel zu sein schien, um nur ein einziges Wesen sein zu
können - diese allumfassende Flut eines Herrschers, dieser Weltenverschlinger, dieses mehrköpfige Ungeheuer,
das von sich selbst in der ersten Person Plural sprach -,
hatte während der langen, mühseligen Heimreise, begleitet von den Köpfen seiner besiegten Feinde, die in ihren
versiegelten, irdenen Pökelfässern auf und ab schaukelten, über die verstörenden Möglichkeiten der ersten Person Singular nachgedacht, über das «Ich».
    Die schier endlosen Tage zu Pferde, an denen man nur
lang-sam vorankam, konnten einen Mann von spekulativem Temperament zu manch trägem Sinnieren verleiten,
und so grübelte der Herrscher beim Reiten über so mannigfaltige Angelegenheiten wie die Veränderlichkeit des
Universums, die Größe der Sterne, die Brüste seiner
Frauen und das Wesen Gottes. Heute beschäftigte ihn
zudem die grammatische Frage nach dem Selbst und seinen drei Personen, der ersten, der zweiten sowie der dritten, den Singularen und Pluralen der Seele. Er, Akbar,
hatte von sich nie als «ich» gedacht, nicht insgeheim,
nicht mal im Ärger oder im Traum. Er war - wie könnte
es anders sein? - «wir». Er war die Definition, die Inkarnation von «wir». Er war in die Pluralität hineingeboren.
Wenn er «wir» sagte, meinte er natürlich und wahrhaftig
sich selbst als Verkörperung all seiner Untertanen, seiner
Städte und Länder, Flüsse, Berge und Seen, ebenso wie
der Tiere, Pflanzen und Bäume innerhalb seiner Grenzen,
auch der Vögel am Himmel, der stechenden Mücken im
Dämmerlicht und der namenlosen Ungeheuer in ihren
Unterwelthöhlen, die gemächlich an der Dinge Wurzel
nagten; er verstand sich als Summe all seiner Siege, als
derjenige, der die Charaktere, die Fähigkeiten, vielleicht
gar die Seelen der enthaupteten oder auch bloß befriedeten Gegner in sich barg; und darüber hinaus verstand er
sich als Inbegriff der Vergangenheit und Gegenwart seines Volkes, als treibende Kraft der Zukunft seines Volkes.
    Dieses «wir» war es, was es bedeutete, König zu sein -
doch gewöhnliche Menschen, so erlaubte er es sich nun
im Interesse der Gerechtigkeit und zum Zwecke der Debatte einzugestehen, dachten zweifellos dann und wann
auch im Plural über sich nach.
Irrten sie? Oder (welch ketzerischer Gedanke!, irrte er?
Vielleicht bedeutete die

Weitere Kostenlose Bücher