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Rushdie Salman

Rushdie Salman

Titel: Rushdie Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die bezaubernde Florentinerin
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geschürzt,
doch war er trotz dieser mädchenhaften Note ein mächtiges Mannsbild, riesenhaft und stark. Als Junge hatte er
mit bloßen Händen ein Tigerweibchen getötet, um dann,
bekümmert über die eigene Tat, jeglichem Fleischverzehr
auf immer abzuschwören und Vegetarier zu werden. Ein
muslimischer Vegetarier, ein Krieger, der nur Frieden
wollte, ein Philosoph und König: ein Widerspruch in
sich. Das war der größte Herrscher, den das Land je gekannt hatte.
    In den trübsinnigen Stunden nach der Schlacht, als sich
der Abend auf die seelenlosen Toten herabsenkte und
unterhalb der zerstörten Burg in Blutfarben zerlief,
lauschte der Herrscher dem leisen Nachtigallenlied eines
kleinen Wasserfalls - bul-bul, bul-bul machte er -, nippte
in seinem Brokatzelt an mit Wasser verdünntem Wein
und gedachte mit Wehmut seiner blutrünstigen Ahnenschar. Er wollte nicht wie seine barbarischen Vorfahren
sein, auch wenn sie die größten Menschen in der Geschichte gewesen waren. Ihn bedrückten die Namen mitsamt ihrer räuberischen Vergangenheit, die Namen, aus
denen sich inmitten von Kaskaden menschlichen Blutes
sein eigener Name ableitete: Großvater Babar, der
Kriegsherr von Ferghana, der dieses neue Reich erobert
hatte, dieses «Indien» mit seinem zu großen Reichtum
und den zu vielen Göttern, das er sein Leben lang verfluchen sollte, Babar, die Kriegsmaschine mit der unverhofften Gabe für den treffenden Ausdruck, und vor Babar
der mörderische Fürst von Transoxanien und der Mongolei, der mächtige, alle überragende Temüdschin - Genghis, Changez, ]enghis oder Dschingis Khan -, dank dessen er, Akbar, den Namen eines Mughal annehmen musste, obwohl er doch gar kein Mongole war oder sich zumindest nicht als solcher verstand. Er sah sich als … Hindustani. Seine Horden waren keine Goldenen Horden,
auch keine Blauen, keine Weißen. Allein das Wort «Horde» klang schweinisch grob in seinen empfindlichen Ohren. Er wollte keine Horden. Er wollte kein geschmolzenes Silber in die Augen besiegter Gegner träufeln oder
sie unter der Plattform zerquetschen, auf der er zu Abend
aß. Er war der Kriege müde und erinnerte sich an seinen
Lehrer aus Kindertagen, den Perser Mir, der ihm gesagt
hatte, wer in Frieden mit sich selbst leben wolle, müsse
mit allen anderen Menschen in Frieden leben. Sulh-i-kul,
vollständiger Friede. Kein Khan begriff eine solche Idee.
Er wollte kein Khanat. Er wollte ein Land.
    Dabei ging es nicht um den Temüdschin allein. Er entsprang in direkter Linie ebenfalls den Lenden eines Mannes, dessen Name «Eisen» bedeutete. Das Wort für Eisen
lautete timur in der Sprache seiner Vorväter. Timur-eIang, der hinkende Eisenmann. Timur, der Zerstörer von
Damaskus und Bagdad, der Delhi in Ruinen zurückließ,
verfolgt von fünfzigtausend Geistern. Akbar wäre es lieber gewesen, Timur nicht zu seinen Vorfahren zählen zu
müssen. Er hatte aufgehört, Tschagatai zu sprechen, Timurs Sprache, benannt nach einem der Söhne von
Dschingis Khan; stattdessen hatte er erst Persisch angenommen und später dann das Bastardgemisch der vorrückenden Armee, urdu, eine Lagersprache, gezeugt von
einem halben Dutzend halbverstandener, plappernder,
pfeifender Dialekte, die zu jedermanns Überraschung
einen wunderbaren neuen Klang ergaben: die Sprache
eines Dichters, geboren aus dem Mund der Soldaten.
    Der Rana von Cooch Naheen, jung, schlank und dunkelhäutig, kniete mit haarlosem, blutigem Gesicht zu Akbars
Füßen und wartete auf den ersten Schlag. «Die Geschichte wiederholt sich», sagte er. «Vor siebzig Jahren hat
Euer Großvater meinen Großvater ermordet.»
«Unser Großvater», erwiderte der Herrscher und benutzte
traditionsgemäß den königlichen Plural, denn dies war
wohl kaum der rechte Moment für ein Experiment mit
dem Singular; der elende Wurm hatte sich das Privileg
nicht verdient, Zeuge einer solch historischen Tat zu
werden. «Unser Großvater war ein Barbar mit der Sprache eines Poeten. Wir dagegen sind ein Dichter mit der
Geschichte eines Barbaren und einem barbarischen Geschick in der Kriegsführung, was uns durchaus nicht gefällt. Somit ist bewiesen, dass die Geschichte sich keineswegs wiederholt, sondern voranschreitet, und dass der
Mensch fähig ist, sich zu ändern.»
«Welch eigenartige Bemerkung für einen Scharfrichter»,
sagte der junge Rana leise, «doch bringt es nichts, mit
dem Tod zu streiten.»
«Eure Zeit ist gekommen», pflichtete ihm der Herrscher

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