Rushdie Salman
ach, die Liebesgeschichte des Jahrhunderts.
Gerade rechtzeitig zum vierzigsten Geburtstag des Königs wurde die Stadt endlich fertig. Zwölf heiße Jahre
hatte ihre Fertigstellung gedauert, doch hatte man dem
Herrscher lange Zeit den Eindruck vermittelt, sie steige
Jahr um Jahr mühelos wie durch Zauberkraft aus der
Ebene empor. Sobald der Mogul in der neuen Hauptstadt
weilte, ließ sein Bauminister die Arbeit ruhen. War der
Monarch anwesend, verstummten die Werkzeuge der
Steinmetze, schlugen die Zimmerleute keine Nägel ein,
verschwanden die Anstreicher, die Einlegearbeiter, die
Tuchaufhänger und Wandschirmschnitzer aus dem Blickfeld. Gestattet, so hieß es, sei nur noch durch Kissen gedämpftes Vergnügen, und einzig Laute der Verzückung
waren genehmigt. Liebreizend hallten die Glöckchen der
Tänzerinnen wider, plätscherten die Springbrunnen, und
einer Brise Schwingen trugen die sanfte Musik des Genies Tansen heran. Gedichte wurden ins herrscherliche
Ohr geflüstert, und donnerstags spielte man im Pachisi
Hof träge gar manches Spiel, dienten Sklavenmädchen
auf dem Schachbrettboden als lebende Figuren. Unter
riesigen Schwingfächern bot sich an verhangenen Nachmittagen verschwiegene Gelegenheit für stille Schäferstündchen. Und die sinnliche Beschaulichkeit verdankte
sich ebenso sehr der Manneskraft des Monarchen wie der
Hitze des Tages.
Keine Stadt besteht aus Palästen allein. Der eigentliche
Ort, erbaut aus Holz und Lehm, Dung, Ziegeln und auch
aus Stein, schmiegte sich von unten an die Mauern des
mächtigen roten Steinsockels, auf dem die königlichen
Residenzen standen. Die Herkunft und Religion der Bewohner prägten die Stadtviertel ebenso wie das Handwerk, das sie betrieben. Hier erstreckte sich die Straße
der Silberschmiede, dort klirrten Waffenschmieden hinter
glühenden Toren, und da, in der dritten Gasse, wurden
Kleider und Flitterkram feilgeboten. Gen Osten lag die
Hindukolonie, und dahinter, eng an die Stadtmauern gekauert, das persische Viertel, jenseits davon das Quartier
der Turani und noch weiter, in der Nähe des gigantischen
Tores der Freitagsmoschee, die Heimstätten jener Muslime, die in Indien geboren worden waren. Weiter draußen, am Rande der Stadt, standen die Villen der Reichen
und Vornehmen sowie Atelier und Skriptorium, deren
Ruhm sich bereits im ganzen Land verbreitet hatte, außerdem ein Pavillon der Musik und einer, der Tanzaufführungen vorbehalten war. In den meisten dieser am
Fuße des Hügels gelegenen Viertel Sikris hatte man nur
wenig für Trägheit und Faulheit übrig, und so senkte sich
der Stillebefehl wie ein erstickendes Tuch über die
Lehmstadt, wenn der Herrscher von den Kriegen heimkehrte. Hühnern musste man beim Schlachten den
Schnabel halten, da man fürchtete, ansonsten die Ruhe
des Königs der Könige zu stören. Ein knarrendes Karrenrad mochte für den Fuhrmann die Peitsche bedeuten, und
wenn er unter den Schlägen aufschrie, wurde die Strafe
womöglich noch verschärft. Frauen in den Wehen versiegelten ihre Lippen, damit kein Schrei nach draußen
drang, und die Pantomime des Markttreibens kam ei-
nem Irrsinn gleich. «Ist der Herrscher daheim, ist jedermann verrückt», sagten die Leute, fügten aber, da überall
Spitzel und Verräter lauerten, rasch noch ein «vor Freude» an. Die Lehmstadt liebte ihren Herrscher, darauf beharrte man ohne Worte, denn Worte waren aus ebenjenem Stoff gemacht, der verboten war aus Lauten. Wenn
dann der Herrscher erneut zu einem seiner Feldzüge aufbrach - zu den niemals endenden (doch immer siegreichen, Schlachten gegen die Armeen von Gujarat und Rajasthan, von Kabul und Kaschmir -, öffneten sich die
Tore des Gefängnisses der Stille, Trompeten erschallten
und Jubelrufe, und endlich konnte man sich all das wieder sagen, was man über Monate hatte verschweigen
müssen. Ich liebe dich. Meine Mutter ist tot. Deine Suppe
schmeckt gut. Wenn du deine Schulden nicht endlich
zahlst, breche ich dir beide Arme. Mein Schatz, ich liebe
dich auch. Einfach alles.
Es war ein Glück für die Lehmstadt, dass ihr Herrscher
oft durch militärische Angelegenheiten ferngehalten
wurde; eigentlich war Akbar sogar die meiste Zeit fort,
und in seiner Abwesenheit quälte das lärmende Gewusel
der Armen, der höllische Spektakel der wieder rührigen
Handwerker die machtlosen Königinnen, Tag für Tag.
Sie ruhten beieinander und klagten, doch was sie trieben,
um sich gegenseitig abzulenken, welchen
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