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Rushdie Salman

Rushdie Salman

Titel: Rushdie Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die bezaubernde Florentinerin
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bei. «Ehe Ihr uns aber verlasst, sagt uns wahrheitsgemäß,
was für ein Paradies Ihr zu entdecken hofft, sobald Ihr
den Schleier durchschreitet?» Der Rana hob sein übel
zugerichtetes Gesicht und schaute dem Herrscher in die
Augen. «Im Paradies haben Anbetung und Auseinandersetzung die gleiche Bedeutung», verkündete er. «Der
Allmächtige ist kein Tyrann. Im Hause Gottes steht es
jedem frei, nach Belieben zu reden, denn eben dies versteht man dort unter Andacht.» Er gehörte zu einer aufreizenden, selbstgerechten Sorte von jungen Leuten, das
stand außer Frage, doch fand sich Akbar trotz seiner Verärgerung gerührt. «Wir versprechen Euch», sagte der
Herrscher, «dass wir dieses Haus der Anbetung hier auf
Erden schaffen werden.» Und mit einem Schrei - Allahu
Akbar, Gott ist groß, vielleicht aber auch:
Akbar ist Gott - hackte er dem kleinen, aufgeblasenen
Blöd-mann den frechen, belehrenden und deshalb nun
gänzlich unnötigen Kopf ab.
Kaum hatte er den Rana getötet, überfiel den Herrscher
der altbekannte Dämon der Einsamkeit. Sprach ein
Mensch mit ihm wie mit seinesgleichen, trieb es ihn in
den Wahnsinn, und das war ein Fehler, so viel wusste er
bereits; eines Königs Ärger war immer übel, denn ein
verärgerter König war wie ein Gott, der Fehler macht.
Und hier zeigte sich in ihm ein weiterer Widerspruch. Er
war nicht nur ein barbarischer Philosoph und Mörder von
Heulsusen, sondern auch ein der Unterwürfigkeit und
Speichelleckerei verfallener Egoist, den es dennoch nach
einer anderen Welt verlangte, einer Welt, in der er ebenjenen Menschen fand, der ihm ebenbürtig war und ihm
wie ein Bruder begegnete, mit dem sich unbeschwert
reden ließ, den er belehren und von dem er lernen, dem er
Freude bereiten und der ihm Genuss verschaffen konnte,
eine Welt, in der er die selbstgefällige Befriedigung der
Eroberungen durch die sanfteren, doch anspruchsvolleren
Freuden des Diskurses ersetzen konnte. Gab es eine solche Welt? Auf welchem Weg ließ sie sich erreichen?
Lebte irgendwo auf Erden ein solcher Mensch? Oder hat
er ihn gerade umgebracht? Was, wenn der Rana mit dem
Schnauzbart der Einzige gewesen war? Hatte er gerade
den einzigen Mann auf Erden erschlagen, den er hätte
lieben können? Der Herrscher wurde weinselig und gefühlsduselig, unter Tränen verschwamm sein Blick.
Wie vermochte er jener Mensch zu werden, der er sein
wollte?
Dieser Akbar der Große? Wie? Da war niemand, mit dem
er reden konnte. Seinen stocktauben Leibdiener Bhakti
Ram Jain hatte er aus dem Zelt befohlen, um in Ruhe
bechern zu können. Ein Leibdiener, der das Gebrabbel
seines Herrn nicht hören konnte, war ein Segen, doch
hatte Bhakti RamJain in letzter Zeit gelernt, von den Lippen abzulesen, was seinen Nutzen beträchtlich verringerte und ihn wie alle Welt zu einem Lauscher, einem Mithörer machte. Der König ist verrückt. So hieß es: Jeder
sagte das. Seine Soldaten, sein Volk, seine Frauen. Vielleicht sogar Bhakti Ram Jain. Doch sie sagten es ihm
nicht ins Gesicht, denn er war ein Riese von einem Mann
und, gleich den Helden aus alten Sagen, ein gewaltiger
Krieger, außerdem war er der König der Könige, weshalb
niemand etwas dagegen einzuwenden wagte, wenn er ein
bisschen bekloppt sein wollte. Nur war der König eben
nicht bekloppt. Der König gab sich bloß nicht damit zufrieden, nur zu sein. Er strebte danach, zu werden.
    Nun gut. Er würde halten, was er dem toten Fürsten von
Kathiawar versprochen hatte. Im Herzen seiner Siegesstadt wollte er ein Haus der Verehrung errichten, einen
Ort des Widerstreits, an dem von jedermann alles zu allen gesagt werden konnte, zu jedem Thema, sogar zur
Nichtexistenz Gottes und der Abschaffung der Könige.
Bescheidenheit wollte er sich in diesem Haus lehren.
Nein, nicht «lehren». Vielmehr wollte er sich an sie erinnern, sie auffrischen, diese Bescheidenheit, die tief vergraben bereits in ihm ruhte. Der bescheidene Akbar war
vielleicht die beste Seite an ihm, gewachsen durch die
Umstände seiner Kindheit im Exil, heute von erwachsener Pracht ummantelt, doch immer noch da, eine Seite an
ihm, die nicht im Sieg, sondern aus der Niederlage geboren worden war. Heutzutage gab es nur noch Siege, doch
mit Niederlagen kannte sich der Herrscher aus. Die Niederlage war sein Vater. Ihr Name lautete Humayun.
Er dachte nicht gern an seinen Vater. Der hatte zu viel
Opium geraucht, sein Reich verloren und es erst zurückbekommen, als er vorgab, Schiit

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