Rushdie Salman
ausmalte, wie ihn seine Liebste betrog, dass er
solcherlei Gedanken heraufbeschwor, um sich zu martern, Bilder von der Portwein nippenden Geliebten im
Bett mit körperlich unversehrten Männern, nach ihrem
schuppigen Fang stinkenden Fischern oder lüsternen
Franziskanermönchen, den Geistern längst verstorbener
Seefahrer und lebenden Männern jeder Farbe und Spielart, Welsche wie Engländer, Chinamänner wie Juden. Ein
Mann im Banne der Liebe, dachte sich der blinde Passagier, ist so leicht zu lenken wie abzulenken.
Während die Scathath das Horn von Afrika umsegelte,
vorbei an der Insel Socotra, und während sie in Maskat
Vorräte auffüllte und die persische Küste backbord liegen
ließ, um, von den Monsunwinden getrieben, in Richtung
Südost zum portugiesischen Hafen Diu am südlichen
Gestade einer Gegend zu fahren, die Dr. Hawkins «Guzerat» nannte, lag Lord Hauksbank vom Orte gleichen Namens in friedlichem Schlummer, «einem gottlob derart
ruhigen Schlaf», so der ratlose Hawkins, «dass bewiesen
ist, welch reines Gewissen der Kapitän hat, seine Seele
also immerhin bei guter Gesundheit ist, allezeit bereit,
vor ihren Schöpfer zu treten.»
«Der Herr bewahre», sagte der blinde Passagier.
«Gottlob hat er ihn noch nicht zu sich gerufen», pflichtete der Arzt ihm eifrig bei. Während der langen Krankenwache hatte «Uccello» sich bei dem Arzt ausgiebig nach
dessen portugiesischer Herzensdame erkundigt. Um über
dieses Thema zu reden, brauchte Hawkins stets nur wenig Ermunterung. Geduldig hatte der blinde Passagier
den überschwänglichen Lobgesängen auf die Augen der
Dame gelauscht, auf ihre Lippen, ihren Busen, ihre Hüften, ihren Bauch, ihr Gesäß und ihre Füße. Er lernte die
geheimen Koseworte kennen, die sie im Akt der Liebe
sprach, Worte, die nun nicht länger geheim waren, er
hörte ihre Treueversprechen und die gemurmelten
Schwüre ewiger Verbundenheit. «Ach, aber sie ist eine
falsche Schlange», weinte der Arzt. Als der Reisende
jedoch fragte: «Seid Ihr Euch da sicher?», schüttelte Lobegott tränenüberströmt das Haupt und antwortete: «Es
ist schon so lang her, und ich bin nur noch ein halber
Mann, also muss ich wohl das Schlimmste fürchten.»
«Uccello» aber gelang es, ihn wieder ein wenig aufzuheitern: «Ach was, Lobegott, lasset uns Gott preisen, denn
Ihr weint grundlos! Sie ist Euch treu, da bin ich mir sicher; sie wartet auf Euch, daran zweifle ich keinen Augenblick; und wenn Ihr ein Bein weniger habt, nun denn,
da hat sie doch ein bisschen Liebe übrig, die Liebe, die
sie fürs Bein hegte, kann sie nun Eurem übrigen Körper
zugutekommen lassen; und wenn Euch ein Auge fehlt,
wird sich das andere doppelt an ihr erfreuen, die Euch
treu geblieben ist und Euch liebt, so wie Ihr sie liebt!
Genug, Lobegott! Frohlockt und weint nicht länger.»
Auf diese Weise beschwichtigte er allabendlich Lobegott
Hawkins und versicherte ihm, die Mannschaft wäre
höchst betrübt, könnte sie seine Lieder nicht mehr hören,
und allabend-lich, sobald er mit dem besinnungslosen
Lord allein war und einige Augenblicke gewartet hatte,
nahm er eine gründliche Durchsuchung der Kapitänskajüte vor und erforschte all ihre Geheimnisse. Ein Mann,
der eine Kabine mit einem Geheimfach baut, baut auch
eine Kabine mit zwei oder drei Geheimfächern, sagte er
sich, und als der Hafen von Diu in Sichtweite kam, hatte
er Lord Hauksbank wie ein Hühnchen gerupft und hinter
den Wandpaneelen sieben geheime Fächer aufgespürt,
sodass nun alle Juwelen aus allen Holzkästchen wohlbehütet in ihren neuen Verstecken im Mantel des Shalach
Cormorano lagen, ebenso wie die sieben Goldbarren, und
doch trug sich der Mantel leicht wie eine Feder, denn der
grünäugige Mohr von Venedig kannte das Geheimnis,
wie jedwede Ware gewichtlos wurde, die man im Zaubermantel verbarg. Was nun die übrigen «tugendsamen
Pretiosen» betraf, so interessierten sie den Dieb nicht
weiter. Er beließ sie in ihren Nestern, auf dass schlüpfte,
welche Vögel sie auch hervorbringen mochten. Doch
selbst am Ende dieses ausgiebigen Beutezuges war «Uccello» nicht zufrieden, denn noch fehlte ihm der allergrößte Schatz. Kaum vermochte er seine Erregung zu
kaschieren. Das Schicksal bot ihm eine einmalige Gelegenheit, er durfte sie nicht versäumen. Wo aber war die
Kostbarkeit? Sie blieb ihm verborgen, obwohl er jeden
Zoll der Kajüte absuchte. Zur Hölle! Verbarg ein Zauberfluch diesen Schatz? War er
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