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Rushdie Salman

Rushdie Salman

Titel: Rushdie Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die bezaubernde Florentinerin
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verlangt einen
männlichen Artikel, doch ihr zuliebe verlieh man ihm
einen weiblichen. La specchia, die kleine Spiegelfrau.»
    Die Geschichte purzelte nun so rasch hervor, dass man
das Protokoll vergaß und den Fremden für seine Unterbrechung nicht maßregelte. Es war Gulbadan mit ihrer
hohen, sich über-stürzenden Stimme, die das Reden
übernahm. Die Geschichte der verschwiegenen Prinzessin und ihres Spiegels drängte darauf, erzählt zu werden.
Hamida Bano aber hing ihren Erinnerungen nach. Die
Königin war wieder jung mit einem kleinen Kind im Arm
und floh mit ihrem Mann Humayun in der Stunde seiner
Niederlage vor den gefährlichsten Männern der Welt:
seinen Brüdern. In den Einöden Kandahars war es dermaßen kalt dass heiße Suppe schon gefror; wenn man sie
nur in eine Schale gab, weshalb man sie nicht trinken
konnte. Eines Tages waren sie so hungrig, dass sie ein
Pferd töteten, zerteilten und Fleischbrocken in einem
Soldatenhelm kochten, ihrem einzigen Topf Und dann
wurden sie angegriffen, und Hamida Bano musste fliehen
und ihr Kind allein zurücklassen, musste es den Gefahren
eines Schlachtfeldes aussetzen, ihr Kind, ihren Jungen,
und so wurde der Kleine schließlich von einer anderen
Frau erzogen, dem Weib Askans, des Bruders ihres Mannes und dessen Feind, von Sultanam Begum also, die für
Hamidas Jungen tat, was sie selbst nicht tun konnte, für
ihren Sohn, für den Herrscher.
    «Verzeih mir», flüsterte sie («…mir»), sagte Bibi Fatima,
doch der Herrscher hörte nicht zu, da er sich mit Prinzessin Gulbadan in unbekannte Gewässer vorwagte. «Sie
kehrte nicht mit Khanzada heim, weil sie - ja -, weil sie
verliebt war.» Verliebt in einen Fremden, ihm so verfallen, dass sie es wagte, ihrem Bruder, dem König, zu trotzen und seinem Hof fernzubleiben, obwohl es ihre Pflicht
gewesen wäre zurückzukehren und edlere Gefühle sie
hätten ermahnen müssen, dass sie zu ihrer Familie gehörte. In seinem Zorn tilgte Babar, Biber, seine jüngere
Schwester aus der Geschichte und erließ die Anordnung,
dass ihr Name aus allen Unterlagen gestrichen und von
keinem Mann und keiner Frau in seinem Reich mehr in
den Mund genommen werden sollte. Trotz ihrer Liebe zu
ihrer Schwester gehorchte Khanzada Begum, und nach
und nach verblasste die Erinnerung an die verschwiegene
Prinzessin und ihren Spiegel. So wurden sie schließlich
zu einem bloßen Gerücht, einer in Menschenmengen nur
halb aufgeschnappten Geschichte, einem Flüstern im
Wind, und von damals bis zum heutigen Tage ward kein
Wort mehr von ihnen gehört.
    «Der persische König wurde seinerseits von dem osmanischen Sultan besiegt», fuhr der Fremde fort. «Und so
kam es, dass die Prinzessin schließlich in Begleitung eines mächtigen Kriegers nach Italien verschlagen wurde.
Argalia und Angelica, so lauteten ihre Namen. Argalia
trug verzauberte Waffen, und zu seinem Gefolge gehörten vier schreckliche Riesen; an seiner Seite aber ritt Angelica, Prinzessin von China und Indien; die schönste
Frau der Welt und eine Zauberin ohnegleichen.»
    «Wie hieß sie nun wirklich?», fragte der Herrscher, ohne
den Fremden zu beachten. Die Königinmutter schüttelte
den Kopf. «Ihren Namen habe ich nie gehört», antwortete
sie, und Prinzessin Gulbadan sagte: «Ihr Spitzname liegt
mir auf der Zunge, aber der eigentliche Name ist mir
vollständig entfallen.»
«Angelica», sagte der Fremde. «Sie hieß Angelica.»
    Hinter dem Wandschirm hervor war Prinzessin Gulbadan
zu hören: «Eine gute Geschichte, und wir sollten herausfinden, woher der Kerl sie hat, aber es gibt da ein Problem, und ich weiß nicht, ob wir es zu unserer Zufriedenheit lösen können.»
Birbal hatte natürlich gleich begriffen, worum es ging.
«Es ist eine Frage der Zeit», sagte er. «Der Zeit und des
Alters der Beteiligten.»
    «Würde Khanzada Begum heute noch leben», sagte Prinzessin Gulbadan, «wäre sie einhundertundsieben Jahre
alt. Ihre jüngste Schwester, acht Jahre jünger als Babar,
müsste demnach inzwischen etwa fünfundneunzig sein.
Dieser Fremde, der hier vor uns steht und eine Geschichte aus unserer Vergangenheit ausgräbt, ist kaum älter als
dreißig oder einunddreißig Jahre. Wenn also die verschwiegene Prinzessin nach Italien reiste, wie dieser Kerl
hier behauptet, und wenn er tatsächlich ihr Sohn ist, wie
er des Weiteren versichert, dann müsste sie bei seiner
Geburt etwa vierundsechzig Jahre alt gewesen sein. Sollte nun diese

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