Rushdie Salman
wundersame Schwangerschaft wirklich
stattgefunden haben, wäre er wahrlich Euer Onkel, der
Sohn der Schwester Eures Großvaters, was ihn berechtigte, als Prinz des königlichen Hauses anerkannt zu werden. Doch das ist natürlich völlig unmöglich.»
Der Fremde spürte, wie sich vor seinen Füßen ein Grab
auftat, und er wusste, man würde ihm nicht mehr lange
Gehör schenken. «Ich habe doch gesagt, dass ich mich
mit Daten und Ortsnamen nicht auskenne», rief er, «aber
meine Mutter war jung und schön und ganz gewiss keine
sechzigjährige Vettel.»
Die Frauen hinter dem Wandschirm blieben stumm, und
in dieser Stille wurde sein Schicksal besiegelt. Schließlich ergriff Gulbadan Begum wieder das Wort. «Es ist
nun einmal wahr, dass er uns erzählt hat, was tief vergraben lag. Hätte er nichts gesagt, hätten wir alte Frauen
diese Geschichte mit in unser Grab genommen. Also hat
er wohl verdient, dass wir uns im Zweifel für ihn aussprechen.»
«Und doch habt Ihr selbst uns zweifelsfrei dargelegt,,,
warf der Herrscher ein, «dass seine Geschichte nicht
stimmen kann.»
«Im Gegenteil», erwiderte Prinzessin Gulbadan. «Es gibt
nämlich zwei mögliche Erklärungen.,,
«Die erste lautet», hörte die Königinmutter Hamida Bano
sich sagen, «dass die verschwiegene Prinzessin wahrlich
eine außerordentliche Zauberin gewesen sein muss, da
sie das Geheimnis der ewigen Jugend entdeckte und deshalb körperlich wie geistig noch eine junge Frau war, als
sie diesen Mann gebar, obwohl sie in Wirklichkeit schon
fast siebzig gewesen sein dürfte.»
Der Herrscher hieb mit der Faust an die Wand. «Vielleicht habt ihr auch den Verstand verloren, und nur aus
dem Grund glaubt ihr diesen ausgesprochenen Schwachsinn», brüllte er, doch Prinzessin Gulbadan beruhigte ihn,
wie man ein kleines Kind besänftigt. «Ihr habt meine
zweite Erklärung noch nicht gehört.»
«Nun gut», grollte der Herrscher. «Redet, Tante.» Mit
übertriebenem Nachdruck sagte Gulbadan Begum daraufhin: «Nehmen wir einmal an, die Geschichte dieses
Kerls sei wahr und die verschwiegene Prinzessin sei
wirklich vor langer Zeit mit ihrem Krieger nach Italien
gereist. Dann könnte doch auch wahr sein, dass die Mutter dieses Kerls nicht die Geliebte des mächtigen Kriegers war sondern die Tochter der Prinzessin.»
Akbar hatte begriffen.
«Aber wer ist dann sein Vater?»
«Das», warf Birbal ein, «ist genau der Haken an dieser
Geschichte.»
Mit einem Seufzer resignierter Neugier wandte sich der
Herrscher zum Fremden um. Der Widerwille eines Regenten gegen Außenstehende, die allzu viel wissen,
dämpfte seine unverhoffte Zuneigung für diesen Mann.
«Der hindustanische Geschichtenerzähler weiß stets,
wann er die Aufmerksamkeit seines Publikums verliert»,
sagte er, «denn die Leute stehen einfach auf und gehen
oder bewerfen ihn mit Gemüse; und manchmal, falls zum
Publikum der Herrscher gehört, wird der Geschichtenerzähler auch kopfüber von der Stadtmauer geworfen. In
Eurem Falle, mein verehrter Mogulonkel, sind Publikum
und Herrscher eins.»
9. In Andijon wurden die Fasane so fett…
In Andijon wurden die Fasane so fett, dass vier Männer
an einem einzigen Vogel mehr als genügend zu essen
hatten. Veilchen wuchsen am Ufer des Andijon, einem
Nebenfluss des Jaxartes, auch Syrdarja genannt, und im
Frühling blühten Tulpen und Rosen. Andijon, der
Stammsitz der Moguln, lag in der Provinz Ferghana, «die
sich wiederum», so stand es in der Autobiographie seines
Großvaters, «im fünften Himmelsstrich am Rande der
zivilisierten Welt befindet». Der Herrscher hatte das
Land seiner Vorfahren nie gesehen, kannte es aber aus
Babars Buch. Ferghana lag in Zentralasien an der großen
Seidenstraße, östlich von Samarkand und nördlich der
mächtigen Gipfel des Hindukusch. Hier wuchsen prächtige Melonen sowie herrliche Weintrauben, und man
konnte sich an weißem Hochwild und mit Mandelcreme
gefüllten Granatäpfeln gütlich tun. Überall gab es Flüsse,
gutes Weideland in den nahen Bergen und rotrindige
Spiersträucher, deren Holz sich ausgezeichnet für Pfeile
und Peitschengriffe eignete, und im Gebirge wurden
Türkis und Eisen abgebaut. Den Frauen sagte man nach,
dass sie schön seien, doch wusste der Herrscher, dass
derlei Ansichtssache war. Babar, der Eroberer von Hindustan, hatte hier das Licht der Welt erblickt, auch Khanzada Begum und ebenso (obwohl alle Berichte über ihre
Geburt gelöscht worden waren, die Prinzessin
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