Rushdie Salman
Dashwanths Bildern wurde zum Spiegelbild des Herrschers, und alle einhundertein im Atelier
arbeitenden Künstler konnten von Dashwanth lernen,
sogar die persischen Meister Mir Sayyid Ali und Abdus
Samad. In ihren gemeinschaftlichen Gemälden von den
Abenteuern Hamzas mit seinen Freunden wurde das Hindustan der Mogulzeit buchstäblich erfunden; in der Vereinigung der Künstler kündigte sich die Einheit des Reiches an und machte sie vielleicht überhaupt erst möglich.
«Zusammen malen wir des Herrschers Geist», bekannte
Dashwanth bekümmert seinen Mitstreitern. «Und wenn
seine Seele dereinst den Körper verlässt, findet sie in
diesen Bildern ihre Ruhe und wird durch sie unsterblich.»
Trotz seines künstlerischen Könnens war es Dashwanth
nie gelungen, seine Depressionen gänzlich zu überwinden. Er heiratete nie und lebte das zölibatäre Leben eines
rishi, eines Weisen also, im Laufe der Jahre verdüsterte
sich seine Stimmung sogar noch, und es gab lange Phasen, in denen er überhaupt nicht arbeiten konnte, sondern
nur in seiner kleinen Zelle im Atelier hockte und stundenlang in eine leere Ecke starrte, als kauerte dort eines
jener Ungeheuer, die er viele Jahre lang mit solcher
Meisterschaft gemalt hatte. Trotz seines zunehmend seltsamen Betragens schätzte man ihn aber auch weiterhin
als einen der besten Maler Indiens, der sein Handwerk
noch unter den beiden persischen Meistern Mir Sayyid
Ali und Abdus Samad gelernt hatte, jenen Künstlern, die
viele Jahre zuvor mit Akbars Vater Humayun aus dem
Exil in dessen Heimat gekommen waren. Folglich war es
Dashwanth, den Akbar zu sich rief, als ihm der Gedanke
kam, er könnte des Großvaters bittere Tat rückgängig
machen und der verschwiegenen Prinzessin endlich einen
Platz in der Geschichte seiner Familie einräumen. «Male
sie in die Welt», trug er Dashwanth auf, «denn deinen
Pinseln wohnt eine derartige Zauberkraft inne, dass sie
vielleicht lebendig wird, von Eurer Leinwand herabsteigt
und mit uns feiert und Wein trinkt.» Des Herrschers eigene, Leben spendende Kräfte waren vorübergehend von
der gewaltigen Anstrengung erschöpft, die es ihn kostete,
seine imaginäre Frau Jodha zu erschaffen und am Leben
zu erhalten, weshalb er in diesem Fall nicht selbst tätig
werden konnte, sondern sich auf die Kunst verlassen
musste.
Dashwanth machte sich sogleich daran, auf einer Reihe
außerordentlicher Folios, die selbst die Hamza-Bilder
übertrafen, das Leben von Akbars verlorener Großtante
darzustellen. Ganz Ferghana erweckten sie zum Leben:
die dreitorige, wasserverschlingende Festung Andijon -
neun Ströme flossen hinein, keiner floss wieder hinaus -
und die zwölf Berggipfel über der Nachbarstadt Osh, die
wilde Wüste, in der die zwölf Derwische sich in einem
grimmigen Sturm verloren, und die vielen Schlangen des
Landes, die Rehböcke und Hasen. Auf dem ersten Bild,
das Dashwanth fertigstellte, zeigte er die verschwiegene
Prinzessin als schönes, vierjähriges Mädchen, das mit
einem Körbchen durch die herrlichen Wälder der YetiKent-Berge spazierte und die Blätter und Wurzeln der
Tollkirsche sammelte, um damit ihre Augen glänzender
zu machen, vielleicht aber auch, um ihre Feinde zu vergiften; außerdem fand das Mädchen größere Mengen
jener mythischen Pflanze, die von den Einheimischen
ayi’qoti” genannt wurde, auch als Alraune bekannt. Die
Alraune - die All-Rune - war eine Verwandte des tödlichen Nachtschattengewächses und sah ihr oberirdisch
recht ähnlich, doch steckten in der Erde Wurzeln mit
menschlicher Gestalt, und sie schrien laut, wenn man sie
herauszog, gerade so, wie Menschen schreien würden,
wollte man sie lebendig begraben. Ihre magische Macht
benötigte keine weitere Erklärung, und wer dieses erste
Bild sah, dem war klar, dass Dashwanth die verschwie-
gene Prinzessin mit seinen außerordentlichen intuitiven
Fähigkeiten als eine geborene Erleuchtete zeigte, die instinktiv wusste, womit sie sich schützen und der Menschen Herz erobern konnte, was sich, wie so oft, als ein
und dasselbe erwies.
Das Bild selbst bewirkte eine Art Wunder, denn kaum
betrachtete die alte Prinzessin Gulbadan es in Akbars
Privatgemächern, erinnerte sie sich an den Namen des
Mädchens, der ihr doch schon seit Tagen so schwer auf
der Zunge lag, dass sie kaum noch essen konnte. «Ihre
Mutter war Makhdum Sultan Begum», sagte Gulbadan,
während sie sich zur leuchtenden Leinwand vorbeugte,
und sie sprach so leise,
Weitere Kostenlose Bücher