Rushdie Salman
wurde seinerseits besiegt von dem
osmanischen Sultan…
Die Frauen hinter dem Wandschirm konnten nicht länger
an sich halten, und Königin Hamida Bano war kaum weniger aufgewühlt als ihre so leicht erregbare Schwägerin.
«Mein Sohn», verlangte sie mit lauter Stimme, «kommt
herüber zu uns» - «zu uns», echote Bibi Fatima -, und der
König der Könige gehorchte. Gulbadan flüsterte ihm
etwas ins Ohr, und der König erstarrte. Akbar wandte
sich mit aufrichtig überraschter Miene zu Birbal um.
«Die Frauen sagen», berichtete er, «ein Teil dieser Geschichte sei bereits bekannt. Baboor, soll heißen , ist ein altmodisches Tschagatai-Wort für Biber, und
der Name dieses ist seinerseits mit Shiban
oder Shaibani Khan zu übersetzen; außerdem wurde die
Schwester meines Großvaters Babar, allgemein bekannt
als die größte Schönheit ihrer Zeit, nach Babars Niederlage tatsächlich von jenem samarkandischen Kriegsfürsten gefangen genommen; und als Shaibani ein Jahrzehnt
später in der Nähe der Stadt Marv von Schah Ismail von
Persien besiegt wurde, fiel Babars Schwester in persische
Hände.»
«Entschuldigt, Jahanpanah», warf Birbal ein, «aber wenn
ich nicht irre, handelte es sich dabei um die Prinzessin
Khanzada, nicht wahr? Und die Geschichte der Prinzessin Khanzada ist natürlich bekannt. Wie ich selbst erfuhr,
gab Schah Ismail sie als eine Geste des guten Willens
zurück an Schah Babar, woraufhin sie bis zu ihrem traurigen Dahinscheiden allseits respektiert im Schoße der
königlichen Familie lebte. Es ist wahrhaft erstaunlich,
dass der Fremde diese Geschichte kennt, doch kann er
kein Nachfahre der Prinzessin sein. Sicher, sie hat Shaibani einen Sohn geboren, doch ist der Junge am selben
Tag wie sein Vater von der Hand des persischen Herrschers gestorben, womit die Behauptungen dieses Kerls
also hinfällig wären.»
Daraufhin riefen die königlichen Damen hinter dem
Wandschirm wie aus einem Mund: «Es gab noch eine
zweite Prinzessin!»« … zessin!», echote die Dienerin.
Gulbadan sammelte sich. «0 strahlender Herrscher», hob
sie an, «in der Geschichte unserer Familie gibt es ein
geheimes Kapitel.»
Der Mann, der sich «Mogor dell’ Amore» nannte, stand
stumm im Herzen des Mogulreiches, während die aufgebrachten Frauen begannen, die Genealogie ihres Familienzweiges aufzulisten. «Erlaubt mir, 0 allwissender
Herrscher, Euch daran zu erinnern, dass diversen Ehefrauen und Gespielinnen diverse Prinzessinnen geboren
wurden», sagte Gulbadan, und der Herrscher seufzte leise, denn wenn Gulbadan begann, wie ein aufgeregter
Papagei den Stammbaum zu erklimmen, ließ sich nie
sagen, auf wie viele Zweige sie hüpfen würde, ehe sie
endgültig irgendwo zur Ruhe kam. Doch heute war seine
Tante erschreckend präzise. «Es gab Mihr Banu, Shahr
Banu und Yadgar Sultan.»
«Nur war Yadgars Mutter Agha keine Königin», warf
Hamida hochmütig ein. «Sie war nur eine Konkubine.»
« … kubine», echote Bibi Fatima pflichtbewusst.
«Allerdings», fügte die Königin dann hinzu, «muss gesagt werden, dass Khanzada an Jahren zwar die Erste
war, im Aussehen aber keineswegs, auch wenn man sie
offiziell zur schönsten Frau erklärte. Einige der jungen
Konkubinen waren viel hübscher.»
«0 höchst erleuchteter Herrscher», fuhr Gulbadan fort,
«ich muss Euch leider mitteilen, dass Khanzada ein über
die Maßen eifersüchtiges Weib gewesen ist.»
Dies war die Geschichte, die von der alten Gulbadan so
lange verschwiegen worden war. «Es hieß allgemein,
Khanzada sei hübsch, da sie die Älteste war und man ihr
besser nicht in die Quere kam. In Wahrheit aber war die
jüngste Prinzessin viel schöner, und sie hatte auch eine
schöne Spielgefährtin und Leibdienerin, eine junge Sklavin, die ebenso hübsch aussah und ihrer Herrin auf eine
Weise glich, dass die Leute anfingen, sie den der Prinzessin> zu nennen. Als Khanzada dann von Shaibani gefangen genommen wurde, nahm man auch die
Prinzessin und ihren Spiegel gefangen, nur als Schah
Ismail dann Khanzada befreite und nach Hause an Babars
Hof zurückschickte, blieben die verschwiegene Prinzessin und ihr Spiegel in Persien. Deshalb wurde sie schließlich auch aus der Familiengeschichte gelöscht:
Sie hatte es vorgezogen, unter Fremden zu leben, statt
einen Ehrenplatz in ihrer eigenen Heimat einzunehmen.»
«La specchia», warf der Fremde plötzlich ein. «Das Wort
für Spiegel endet eigentlich mit 0 und
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