Rushdie Salman
in
ihrem Gefolge Bibi Fatima, die Vertraute der Königin.
«Jiu», sagte die Königin (das war ihr Kosename für die
ältere Schwägerin,, «welchen Unsinn hat der kleine Akbar jetzt wieder ausgeheckt? Braucht er denn noch mehr
Familie, als er schon hat?» «Schon hat», wiederholte Bibi
Fatima, die sich die schlechte Angewohnheit zugelegt
hatte, ein Echo ihrer Herrin zu sein. Prinzessin Gulbadan
schüttelte den Kopf. «Er weiß, wie geheimnisvoll die
Welt ist», erwiderte sie, «und dass sich auch die seltsamste Geschichte als wahr erweisen mag.» Diese Antwort kam derart unerwartet, dass die Königin verstummte, und die Frauen nebst Dienerin schwebten ohne ein
weiteres Wort zu den Gemächern des Monarchen.
Es war ein böiger Tag, und die reich bestickten Tücher,
die sie vor den Blicken der Männer schützten, flatterten
aufgeregt wie Segel im Wind. An ihren prunkvollen Gewändern, den weiten Röcken, langen Blusen, den um
Kopf und Gesicht gewickelten Stoffbahnen der Sittsamkeit, zupfte gleichfalls manch ein Luftzug. Je näher sie
Akbar kamen, desto mächtiger wurde der Wind. Vielleicht ist dies ein Omen, dachte die Königin. All unsere
Gewissheiten werden fortgeweht, sodass wir von nun an
in Gulbadans Welt der Geheimnisse und Zweifel leben
müssen. Hamida Bano, eine energische, herrische Frau,
hatte für das Konzept des Zweifels nichts übrig. Sie war
der Meinung, genau zu wissen, was was ist; in diesem
Wissen war sie erzogen worden und hielt es für ihre
Pflicht, entsprechende Erkenntnisse an jedermann so
deutlich wie möglich weiterzugeben. Wenn der Herrscher
nicht mehr genau wusste, was was ist, machte sich seine
Mutter auf den Weg, ihm wieder Klarheit zu verschaffen.
Nur schien Gulbadan seltsamerweise anderer Ansicht zu
sein.
Seit Gulbadans Rückkehr von ihrer Pilgerfahrt nach
Mekka war sie sich offenbar in vielen Dingen nicht mehr
so sicher wie zuvor. Fast schien es, als wäre ihr Glaube
an die festen, unabänderlichen Wahrheiten des göttlichen
Kosmos durch die große Reise eher geschwächt als gestärkt worden. Nach Hamida Banos Ansicht war der von
Gulbadan organisierte Frauenhadsch, dem sich nahezu
ausschließlich die älteren Damen des Hofes angeschlossen hatten, bereits als solcher ein Hinweis auf die unerwünscht revolutionäre Seite des monarchischen Führungsstils ihres Sohnes. «Ein Frauenhadsch?», hatte sie
ihn gefragt, als Gulbadan das Thema zum ersten Mal
aufbrachte. Wie konnte er dergleichen nur billigen? Nein,
bekräftigte sie, sie würde sich ganz gewiss nicht auf den
Weg nach Mekka begeben, unter keinen Umständen.
Doch dann hatte sich ihre Mitkönigin Salima der Pilgerfahrt angeschlossen, auch Sultanam Begum, die Frau von
Askari Khan, der Akbars Leben gerettet hatte, als seine
Eltern ihn im Stich ließen und ins Exil gingen - Sultanam, die dem kleinen Akbar eine bessere Mutter gewesen
war als sie selbst; auch Babars tscherkessische Frau reiste
mit, Akbars Stiefcousinen und Gulbadans Enkeltochter
sowie viele Dienerinnen und sonst noch allerlei Frauen.
Dreieinhalb Jahre fort am heiligen Ort! Das lange persische Exil hatte der Königin auch den letzten Wunsch in
Sachen Reisen ausgetrieben, und allein den Gedanken an
die dreieinhalb Jahre fand sie grässlich. Sollte Gulbadan
ruhig nach Mekka aufbrechen! Die Königinmutter würde
jedenfalls weiterhin daheim regieren.
In diesen dreieinhalb Jahren der Stille und Ruhe, frei von
Gulbadans endlosem Geplapper, war Hamida Banos Einfluss auf den Herrscher ungebrochen gewesen. Bedurfte
man einer Frau, um eine Ehe oder einen Friedensvertrag
auszuhandeln, war sie die einzige verfügbare Dame von
Rang. Akbars eigene Königinnen waren bloß Mädchen,
das Phantom natürlich ausgenommen, diese gespenstische Sexbombe, die sämtliche schmutzige Literatur auswendig kannte, doch war es unnötig, an die allzu viele
Gedanken zu verschwenden. Als aber Gulbadan heimkehrte und jetzt Gulbadan die Pilgerin hieß, kam es zu
einer Änderung im Machtgefüge. Merkwürdig war bloß,
dass die alte Prinzessin seither nur wenig über Gott redete, dafür aber endlos über Frauen, über deren ungenutzte
Kraft und ihre Fähigkeit, eigentlich alles zu können, was
sie sich vornahmen, weshalb sie sich auch mit den Einschränkungen nicht länger abzufinden brauchten, die
ihnen von den Männern auferlegt wurden, sondern das
Leben in die eigenen Hände nehmen sollten. Wenn Frauen den Hadsch schafften, konnten sie auch Berge erklimmen,
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