Rushdie Salman
ausgestreckt wie der ihrer Schwester, ebenso die Rechte,
die sich gleichfalls um ein Handgelenk klammert. War
Khanzada die Gefangene von Wurmholz Khan, dann war
sie, Qara Köz, die Gefangene von Khanzada, und das
kleine Sklavenmädchen, Spiegel genannt, würde ihre
Gefangene sein.
Das Gemälde war eine Allegorie über das Boshafte der
Macht, wie sie von einem Mächtigen zum weniger Mächtigen weitergereicht wird. Menschen werden umklammert, die ihrerseits Menschen umklammern. War die
Macht ein Schrei, dann wurden Leben im Echo der
Schreie anderer Menschen gelebt. Das Echo der Schreie
der Mächtigen betäubte die Ohren der Hilflosen, doch
blieb ein letztes Detail zu vermerken: Dashwanth hatte
die Kette der Hände geschlossen. Der Spiegel, das Sklavenmädchen, dessen linkes Handgelenk fest im Griff
ihrer jungen Herrin ruhte, hatte sich mit ihrer Rechten
Khanzada Begums linkes Handgelenk geschnappt. Sie
standen im Kreis, diese drei verlorenen Geschöpfe, und
indem der Maler den Kreis schloss, deutete er an, dass
der Griff der Macht, oder ihr Echo, reversibel ist.
Manchmal konnte ein Sklavenmädchen eine Frau von
königlichem Geblüt gefangen nehmen. Geschichte vermochte sich ebenso nach oben zu hangeln wie nach unten. Die Mächtigen konnten durch die Schreie der Armen
betäubt werden.
Als Dashwanth die junge Qara Köz malte, die erst während ihrer Gefangenschaft zur vollendeten Schönheit
heranreifte, wurde offensichtlich, dass eine höhere Macht
von seinem Pinsel Besitz ergriffen haben musste. Was er
malte, war so unglaublich schön, dass Birbal, als er das
Bild zum ersten Mal sah, wortwörtlich sagte: «Ich fürchte
um den Künstler, denn er ist so sehr in diese Frau aus der
Vergangenheit verliebt, dass es ihm schwerfallen wird, in
die Gegenwart zurückzufinden.» Das Mädchen, die Heranwachsende, die liebreizende, schöne junge Frau, die
Dashwanth in diesen Meisterwerken zum Leben erweckte, vielmehr wiedererweckte, musste einfach, wie Akbar
plötzlich begriff, als er das Werk betrachtete, qara
ko’zum sein, die dunkeläugige Schöne, besungen vom
Dichterfürsten Ali-Shir Nava’i aus Herat, dem obersten
Verseschmied der Tschagatai-Sprache. Flicht ein Nest für
dich in den Tiefen meiner Blicke. Ach, dein schlanker
Leib gleicht einem jungen Baum, der im Garten meines
Herzens sprießt. Sehe ich eine Schweiß perle auf deinem
Gesicht ist mir plötzlich zum Sterben zumute. Dashwanth
hatte einen Teil der Verse sogar ins Stoffmuster von Qara
Köz’ Gewand gemalt: Plötzlich zum Sterben zumute.
Kurz nach der Eroberung Samarkands fiel auch Herat,
das so-genannte Florenz des Ostens, an Shaibani oder
Wurmholz Khan, und Khanzada, Qara Köz und der Spiegel verbrachten einen Großteil ihrer Jahre der Gefangenschaft in dieser Stadt. Die Welt ist ein Ozean, sagt man,
und im Ozean findet sich eine Perle, und diese Perle ist
Herat. «Wer in Herat die Füße ausstreckt», behauptete
Nava’i, «tritt nur allzu rasch einen Poeten.» 0 sagenhaftes
Herat der Moscheen, Paläste und Basare für fliegende
Teppiche! Ja, es war ein wunderbarer Ort, keine Frage,
dachte der Herrscher, doch das Herat, das Dashwanth
malte, wurde durch die Schönheit der verschwiegenen
Prinzessin wie von innen heraus erleuchtet; es war ein
Herat, mit dem kein real existierendes Herat mithalten
konnte, ein Traum-Herat für eine Traum-Frau, in die, wie
Birbal schon geahnt hatte, der Künstler hoffnungslos
verliebt war. Dashwanth malte Tag und Nacht, Woche
um Woche und bat um keinen einzigen Ruhetag, ließ sich
auch keinen verordnen. Er wurde noch magerer, seine
Augen traten vor. Die Künstlerkollegen fürchteten um
seine Gesundheit. «Er sieht so gezeichnet aus», murmelte
Abdus Samad zu Mir Sayyid Ali, «als ob er auf die dritte
Dimension des wahren Lebens verzichten und sich zu
einem Bild abflachen wollte.» Wie Birbals Bemerkung
verriet auch diese Äußerung eine scharfe Beobachtungsgabe, und die Wahrheit des Gesagten sollte nur allzu bald
offensichtlich werden.
Dashwanths Kollegen begannen, ihn aufmerksam zu beobachten, da er so melancholisch wurde, dass sie fürchteten, er könne sich ein Leid antun. Sie beschatteten ihn
abwechselnd, was nicht weiter schwierig war, da er bloß
noch Augen für sein Werk hatte, und sie merkten, wie er
dem äußersten Künstlerwahn verfiel, wie er seine Bilder
nahm, sie umarmte und «Atme!» flüsterte.
Er arbeitete an dem, was das letzte Bild der sogenannten
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