Rushdie Salman
Einzelheiten aus seinem
Leben zu sehen: eine kleine, dicke Person, gutmütig und
redselig, ein Backgammon-Spieler und gerechter Mann,
aber auch jemand, der keinen Zweikampf scheute, ein
narbengesichtiger Paladin, der zuzuschlagen wusste und
wie all seine Nachfahren, wie Babar, Humayun, Akbar
und Akbars Söhne Salim, Daniyal und Murad, eine große
Vorliebe für Wein und harte Schnäpse hegte, aber auch
für jene Süßigkeit, jenen Leckerbissen, der majun genannt und aus der Cannabispflanze hergestellt wurde,
eine Delikatesse, die zu seinem plötzlichen Ableben führen sollte. Im majun-Nebel nämlich war er einer Taube
zu nahe an den Abgrund gefolgt und in jene Unterwelt
gestürzt, in der es nicht darauf ankam, oq man klein,
dick, gutmütig, redselig oder gerecht gewesen war, in der
es keine Backgammon-Partner gab, keine Zweikampfgegner und wo man bis in alle Ewigkeit vom herrlichen
majun-Nebel umhüllt sein mochte.
Dashwanths Bild gewährte einen tiefen Blick in den Abgrund und zeigte die Dämonen, die darauf warteten, den
König in ihrem Reich willkommen zu heißen. Das Gemälde erfüllte ganz offenkundig den Tatbestand der lesemajeste, denn auch nur anzudeuten, ein Vorfahre des
Herrschers könne ins Inferno gestürzt sein, war ein Verbrechen, das mit dem Tod bestraft werden konnte, ließ es
doch die Deutung zu, dass Seine Majestät ein ähnliches
Schicksal erwartete. Als aber Akbar das Bild sah, lachte
er nur und sagte: «Die Hölle scheint mir ein weitaus angenehmerer Ort zu sein als der Himmel mit all seinen
gelangweilten Engeln an der Seite Gottes.» Kaum wurde
dem Wassertrinker Badauni dieser Ausspruch überbracht,
kam er zu dem Schluss, dass das Reich der Moguln dem
Untergang geweiht war, denn Gott würde gewiss keinen
Monarchen dulden, der sich vor aller Augen zum Satanisten wandelte. Allerdings überlebte der Herrscher, zwar
nicht für immer, aber lange genug, ebenso wie Dashwanth, dem allerdings eine weit kürzere Zeit beschieden
war.
Die nächsten Jahre im Leben der kleinen Schwarzauge
waren eine unruhige, nomadenhafte Zeit, in der ihr Bruder und Beschützer Babar hin und her galoppierte,
Schlachten gewann und verlor, Reiche gewann und verlor, von seinen Onkeln angegriffen wurde und seinerseits
seine Vettern angriff, von seinen Vettern umstellt wurde
und wiederum seine Onkel angriff, doch dräute hinter all
diesen gewöhnlichen Farnilienfehden sein größter Feind,
die wilde Usbekenwaise, der Glücksritter, die Pest des
Hauses Timur, nämlich Wurmholz - soll heißen «Shaibani» - Khan. Dashwanth malte die fünf-, sechs- und sieben
jährige Qara Köz als übernatürliches Wesen, gehüllt in
einen Lichtkokon, um den herum die Schlachten tobten.
Babar eroberte Samarkand, verlor aber Andijon, dann
eroberte er Samarkand aufs Neue, verlor es wieder und
damit auch seine Schwestern. Wurmholz Khan belagerte
Babar in seiner großen Stadt, und rund um das Eisentor,
das Nadelmachertor, das Bleichertor und das Türkistor
wurde hart gekämpft, am Ende aber wurde Babar ausgehungert. Wurmholz Khan hatte Gerüchte über die sagenhafte Schönheit von Babars älterer Schwester Khanzada
Begum gehört und schickte eine Botschaft, die Besagten,
Babar und seine Familie, könnten unbehelligt abziehen,
sofern man ihm Khanzada ausliefern würde. Babar blieb
keine andere Wahl, als dieses Angebot anzunehmen, und
Khanzada blieb keine andere Wahl, als Babars Wahl anzunehmen.
So wurde sie zur Opfergabe, zur menschlichen Kriegsbeute, zu einer lebenden Schachfigur ähnlich den Sklavenmädchen auf Akbars Pachisi-Brett. Doch bei der letzten Familienzusammenkunft in den königlichen Gemächern in Samarkand traf sie ihre eigene Wahl. Wie die
Klaue des Vogels Rock fiel ihre Rechte auf das linke
Handgelenk der kleinen Schwester. «Wenn ich gehe»,
sagte sie, «soll Schwarzauge mir Gesellschaft leisten.»
Niemand im Raum hätte sagen können, ob sie aus Boshaftigkeit oder Liebe handelte, denn in Khanzadas Umgang mit Qara Köz spielten stets beide Gefühle eine Rolle. Auf Dashwanths Bild von diesem Vorfall gibt Khanzada eine prächtige Gestalt ab, die mit weit geöffnetem
Mund ihren Trotz verkündet, während Schwarzauge anfangs wie ein verängstigtes Kind wirkt. Dann aber nehmen den Betrachter die schwarzen Augen gefangen, und
man sieht, welche Macht dahinter lauert. Qara Köz’
Mund steht ebenfalls offen, denn auch sie protestiert laut,
beklagt ihr Elend und verkündet ihre Kraft. Ihr Arm ist
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