Rushdie Salman
homosexueller Praktiken
ein Anstandsamt einzurichten, dessen Aufgabe allein
darin bestand, Bordelle zu öffnen und zu führen und zur
Unterstützung der hiesigen Freudenmädchen Prostituierte
und Zuhälter aus allen Teilen Italiens und Europas herbeizuholen. Die Vespuccis aus Ognissanti nutzten die
Gelegenheit, erweiterten ihr Angebot und boten nun neben Olivenöl und Wolle auch Frauen feil. «Vielleicht
werde ich doch kein Schreiberling», erzählte Ago seinem
Freund Niccolo bekümmert, als sie sechzehn waren,
«sondern muss ein Huren-haus leiten.» Il Machia riet
ihm, es von der guten Seite zu sehen. «Wer will schon
einen Schreiberling vögeln?», sagte er. «Aber dich werden wir alle beneiden.»
Der Pfad Sodoms bot auch für Ago Vespucci keinen
Reiz, war er in Wahrheit doch trotz allen obszönen Geredes ein Jüngling von beinahe übertriebener Sittsamkeit. Il
Machia dagegen schien die Wiedergeburt des Gottes
Priapus zu sein, allzeit bereit, allzeit auf Weiberjagd,
nach Professionellen wie Amateuren, und mehrere Male
die Woche schleppte er Ago zu seiner Verdammnis in ein
lärmendes Bordell. Anfangs, zu Beginn ihrer adoleszenten Potenz, wählte Ago stets die jüngste Hure in Il Machias bevorzugtem Etablissement, ein Mädchen, das sich
«Skandal» nannte, aber einen beinahe prüden Eindruck
machte, ein knochendürres Geschöpf aus dem Dorf Bibione, das nie den Mund auftat und ebenso verängstigt
aussah wie er selbst. Lange Zeit bezahlte er sie sogar
dafür, still auf der Bettkante zu sitzen, während er sich
lang ausstreckte und tat, als schliefe er, bis Il Machia im
Zimmer nebenan zu grunzen und zu stöhnen aufhörte.
Dann beschloss er, sie zu bilden, indem er ihr Gedichte
vorlas, die sie zu erfreuen schienen, obwohl sie dermaßen
davon gelangweilt war, dass sie schier zu sterben meinte
und die Reime sogar ein wenig widerlich fand, klangen
sie in ihren Ohren doch wie jene Laute, die Männer von
sich gaben, wenn sie gedrechselte Lügen erzählten.
Eines Tages beschloss sie, in den Lauf der Dinge einzugreifen.
Ein schüchternes Lächeln stahl sich auf ihr ernstes Gesicht, als sie zu Ago ging und eine Hand auf den Petrarca
sprudelnden Mund, die andere Hand aber an eine andere
Stelle legte. Kaum hatte sie seine Männlichkeit entblößt,
lief Ago dunkelrot an und begann zu niesen. Er nieste
eine Stunde ohne Unterlass, und am Ende der Stunde
schoss ihm Blut aus der Nase. Die knochendürre Hure
fürchtete, er könnte sterben, und rannte Hilfe rufend aus
dem Zimmer, um mit der größten Nackten zurückzukehren, die Ago je gesehen hatte. Kaum drang ihr Geruch in
seine Nase, hörte sein Riechorgan auf, verrückt zu spielen. «Ich verstehe», sagte die Riesin, die man unter dem
Namen «La Materassina» kannte, «du glaubst, du magst
die mageren Mädchen, aber eigentlich stehst du mehr auf
eine ordentliche Portion.» Sie wandte sich an ihre knochige Kollegin und forderte sie rundheraus auf, sich zu
verkrümeln, woraufhin Agos Nase jedoch ohne weitere
Vorwarnung aufs Neue explodierte. «Heilige Mutter Gottes», rief die Riesin, «was verbirgt sich unter all der
Angst doch für ein gieriger Lüstling! Offenbar bist du nur
zufrieden, wenn du uns beide haben kannst.»
Danach gab es für Ago kein Halten mehr, sodass ihn
selbst Il Machia lobte. «Langsamer Start, tolles Finish»,
sagte er anerkennend. «Obwohl du ein Kerl bist, der auf
den ersten Blick nichts hergibt, hast du den Instinkt eines
Champions.»
Ago war vierundzwanzig Jahre alt, als seine Liebe zur
Stadt auf eine unerhörte Probe gestellt wurde. Man vertrieb die Familie Medici, schloss die Bordelle, und die
Fäulnis religiöser Scheinheiligkeit breitete sich aus. Es
war die Zeit, in der die Jammerer an die Macht gelangten, ein Kult engstirniger Fanatiker, über die Ago mit
unterdrückter Stimme zu Il Machia sagte, selbst wenn sie
geborene Florentiner wären, sei das Taufwasser bestimmt
schon verkocht gewesen, ehe es ihre Stirn salben konnte,
da sie eine wahre Höllenfeuerhitze verströmten. «Der
Satan hat uns diese Teufel gesandt, um uns vor aller Teufelei zu warnen», sagte er an jenem Tag, an dem die lange Dunkelheit ein Ende nahm. «Und sie haben uns vier
verdammte Jahre verteufelt. In jedem verfluchten Fall
aber fiel die Soutane der Heiligkeit über den Hosenlatz
des Bösen.»
An diesem Tag brauchte er nicht mehr zu flüstern, denn
seine geliebte Heimatstadt war wiedergeboren, war dank
der heilenden Kraft eines
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