Russen kommen
davon. Ist mir recht. Ich habe ihm auch nicht erzählt, was mir mein Vater vom Landeshauptmann hat ausrichten lassen. Ich nehme es als Privatsache.
Die Tage nach Erscheinen des neuen Heftes nütze ich für diverse administrative Arbeiten.
Ich treffe mich mit Vesna. Beim Türken ums Eck nahe der Redaktion reden wir lange über ihre Firma und über ihre Tochter Jana, die sich nun bei links-linken Studenten engagiert. Was Vesna ebenso wenig gefällt wie die Mädchenbande, mit der Jana vor einem Jahr reaktionäre und frauenfeindliche Moslems drangsaliert hat. Immer nach dem Motto: Wir müssen uns selbst darum kümmern, statt es Ausländerfeinden zu überlassen. Mir hat das im Prinzip ganz gut gefallen. Über unsere Männer verlieren wir kein Wort, es tut gut, festzustellen, dass man auch über anderes reden kann. Abgesehen davon: Wahrscheinlich haben wir beide mit unserem Unabhängigkeitsdrang einfach einen Knall. Aber irgendeinen Knall hat jede. Und jeder.
In dieser Woche wohnt Oskar bei mir. Ich will ihm mit einem schönen Abendessen deutlich machen, dass meine Wohnung zwar nicht so groß und luxuriös ist wie seine, aber auch ihre Vorzüge hat. Ich sitze an meinem Büroschreibtisch und überlege, was ich kochen könnte. Vielleicht ergibt sich ein Abstecher auf den Naschmarkt, dort komme ich immer auf gute Ideen. Ich starre auf meinen Dschungel, der mich so gut von den anderen im Großraumbüro abtrennt. Zwischen den Blättern des Philodendrons hindurch sehe ich den Chefredakteur, er wirkt gehetzt. Ich versuche, so wenig wie möglich mit ihm zu tun zu haben. Um mich freundlich zu stimmen, reicht es nicht, eine mittelgute Reportage über den grünen Klee zu loben.
Der Chefredakteur kommt näher, der wird doch nicht zu mir wollen … Klagedrohungen des Landeshauptmanns, der Autobahngesellschaft, was weiß ich, von wem. Ich atme durch und wappne mich, ich glaube nicht, dass ich irgendwelche journalistischen Sorgfaltspflichten verletzt habe. Zwei Kolleginnen sehen Feldner gespannt zu, wie er zielsicher in meine Richtung strebt. Seit ich Chefreporterin bin, bin ich lange nicht mehr so beliebt in der Redaktion wie früher. Der Chefredakteur schiebt zwei große grüne Blätter zur Seite und steht vor mir. Außer Atem. Ich kann nicht anders, ich stehe auf.
Zum Glück schreit er nicht, im Gegenteil, er flüstert, es sei sehr dringend, was er mir zu sagen habe. Da könnt ihr Mädels da draußen noch so lange Ohren kriegen, ihr bekommt nichts mit.
Und dann, ganz anders als erwartet, fährt er eilig fort: »Vielleicht habe ich etwas Neues für Ihre Russen-Geschichte, ich kenne mich da nicht so aus, mit so etwas habe ich noch nie zu tun gehabt, aber die Putzfrau eines Freundes hat mich angerufen, auf seiner Terrasse liegt ein Toter, ein reicher Russe, er hat seine Wohnung gemietet, mein Kollege ist momentan als Korrespondent in Peking und finanziert sich seine großartige Wohnung, indem er sie immer wieder kurzfristig vermietet.«
»Hat sie die Polizei schon verständigt?«
»Keine Ahnung.«
»Wo ist die Wohnung?«
»Am Graben.«
»Wow, allererste Adresse. Ich rufe nur schnell eine Fotografin.«
»Meinen Sie wirklich …?«
»Wir können ja später entscheiden, ob wir die Fotos verwenden.« Zum Glück ist Gerda frei, sie ist nicht nur gut, sondern auch unerschrocken. Fünf Minuten später stehen wir in der U-Bahn, mit dem Auto würden wir deutlich länger brauchen.
»Soll ich der Putzfrau sagen, dass sie die Polizei verständigen muss?«, fragt der Chefredakteur unsicher.
»Sie wird es ohnehin getan haben«, beruhige ich ihn. Und hoffe auf das Gegenteil. Ein reicher toter Russe.
»Er soll grauenvoll aussehen«, fährt der Chefredakteur fort. »Sie meint, er ist schon länger tot. Sie kommt nur einmal in der Woche. Ich weiß nicht, ob man darüber schreiben soll …«
Ich sehe ihn an. »Sie wollten, dass wir hinfahren. Wozu, wenn nicht, damit ich darüber schreibe?«
Er lächelt etwas gequält. »Tja, wenn wir die Nase vorne haben … Im ›Magazin‹ muss man dann wohl …«
»Das hätten Sie auch im Fernsehen gebracht.«
»Aber mit Abstand.«
»Weil Fernsehteams meistens nicht als Erste vor Ort sind.«
»Vielleicht stimmt das.« Er seufzt.
Mir ist auch nicht wohl bei dem Gedanken, gleich einem Toten gegenüberzustehen. Er soll »grauenvoll« aussehen. Was immer das heißt, mir reicht schon, dass er tot ist. Ich bin keine Sensationsreporterin, ich mag Storys, die ich in Ruhe recherchieren und über die ich
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