Russen kommen
erzählt. Also hab ich gleich beim ›Weinviertelboten‹ angerufen – das ist unser Abkommen: Wenn ich etwas Interessantes erfahre, dann melde ich mich und kann darüber schreiben. Natürlich hat ihnen das Thema gefallen.«
»Sie haben mit Dolochow gesprochen?«, frage ich weiter.
Er sieht mich stolz an. »Das ist selbst für eine bekannte Journalistin aus Wien nicht ganz einfach, was? – Ja. Ich habe mit ihm gesprochen. Auch wenn er leider kein Interview geben wollte, er hat gemeint, er sei privat da. Aber ein Foto mit dem Bürgermeister, da hatte er nichts dagegen.«
»Und: Wie ist er so?« Eine Frage, wie wenn zwei Teenager über einen Star plaudern, aber was Besseres fällt mir nicht ein, und zum Gelegenheitsjournalisten scheint es gerade der richtige Zugang zu sein.
»Wirklich nett, das muss man sagen. Er kann hervorragend Deutsch und war sehr höflich.«
Ich hatte auch nicht angenommen, dass sich der Oligarch ins Tischtuch schnäuzt.
»Er hat das Rathaus besucht und den Vertrag fertig gemacht, und ich würde mich gar nicht wundern, wenn er noch viel mehr investiert in unserer Gegend. Er hat da so etwas anklingen lassen … Er hat ein Glas Wein getrunken, es hat ihm sehr geschmeckt, und er hat gesagt, dass es ihm hier im Weinviertel sehr gut gefällt, er hat mir sogar ein Bild von seiner Frau und seinen zwei Töchtern gezeigt, er hat es in der Brieftasche. Ein richtiger Familienmensch.«
»Menschlich«, sage ich, und er bemerkt meinen Spott nicht.
»Wirklich«, sagt er, »und kultiviert.«
»Hat er auch hier übernachtet?«, will ich wissen.
»Leider … Er hätte es gerne, hat er gesagt, aber er hatte einen Termin in Wien.«
»Wie lang war er da?«
»Gar nicht so kurz.«
»Wie lang?«
»Sicher mehr als eine Stunde, würde ich sagen. Mit meinem Onkel war schon alles vereinbart, es war ja bereits sein zweiter Besuch, beim ersten war er nur am Grab seines Großvaters gewesen. Da hat er damals das Glas mit Wodka hingestellt.«
»Das haben Sie selbst gesehen?«
»So gut wie. Damals wusste ich ja noch nichts von ihm, aber die Leute aus dem Ort haben es erzählt.«
»Und dann war er bei Ihrem Onkel?«
»So gut wie.«
Mir wird immer klarer, dass Dolochows Aufenthalt im Ort, in dem sein Großvater gestorben ist, nicht eben lange gedauert hat. »So gut wie?«, wiederhole ich.
»Er hat die Woche darauf einen Mitarbeiter geschickt. Und einen von der Baufirma. Die haben dann aus mehreren Möglichkeiten das Grundstück meines Onkels ausgesucht und alles vorbereitet. Mein Onkel hat Glück, für ein Haus hätte das Grundstück nicht getaugt. So nah beim Friedhof, da will keiner hin.«
»Bei seinem zweiten Besuch war Dolochow alleine?«
Urbanek sieht mich beinahe mitleidig an. »Natürlich hatte er einen Fahrer dabei. Aber der hat im Auto gewartet. Es war ein ganz normales Auto übrigens, ein Mercedes, keine gepanzerte Limousine, da kenne ich mich aus, oder wenn sie gepanzert war, dann ganz geschickt.«
»Der Unfall der beiden Russen auf der Brünner Straße. Haben Sie Dolochow darauf angesprochen?«
Der Gelegenheitsjournalist kratzt sich am Kinn. »Ja. Er hat gesagt, dass er noch nie von ihnen gehört habe.«
»Es soll ja eine Menge reicher Russen geben«, tröste ich ihn. »Und der russische Präsident hat unter ihnen vielleicht mehr Freunde, als er selbst weiß. Wie sind Sie darauf gekommen, dass er seinen Jet geschickt hat, um die Toten heimzuholen?«
»Das Krankenhaus in Mistelbach. Man erzählt sich das dort«, murmelt Urbanek.
Etwas Ähnliches habe ich schon vermutet. Warum sollte sich ein Bezirksblatt strikt an die Fakten halten, wo doch die größte Zeitung im Land täglich vorzeigt, wie es anders besser geht?
»Sie erwähnen mich doch in Ihrer Reportage?«, fragt der schreibende Gemeindesekretär. »Als den, der die Dolochow-Story an die Öffentlichkeit gebracht hat.«
»Sicher«, beruhige ich ihn.
»Haben Sie einen Interviewtermin mit ihm?«
Ich schüttle wahrheitsgemäß den Kopf, das scheint ihn richtiggehend glücklich zu machen. Da fällt mir noch etwas ein: »Wann war Dolochow hier?«
»Vorgestern, es war erst vorgestern. Wenn wir wollen, können wir sehr schnell sein beim ›Weinviertelboten‹. Ich habe gewusst, wie wichtig die Story ist, also haben wir sie noch in letzter Minute ins Blatt gesetzt. War ein ziemlicher Stress, Redaktionsschluss war schon lange vorbei.«
Vorgestern. Kann es sein, dass Urbanek lügt? Warum sollte er das tun? Außerdem kann ich ja noch den
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