Russen kommen
gemacht und sogar das Foto seiner Frau und seiner Töchter hergezeigt. Im »Zirben« war er mit einer jungen russischen Schönheit. Aber das ist es nicht. So etwas traue ich bald jedem Mann zu. Was dann? Die junge Russin … Genau, das ist es: Sie hat übersetzt, es hat so gewirkt, als könne sie als Einzige Deutsch. Dolochow wollte noch eine Flasche Château Petrus, und die Russin hat ihn dann auf Deutsch bestellt. Urbanek hat erzählt, dass Dolochow sehr gut Deutsch spreche. Warum hat er den Wein nicht selbst bestellt? Vielleicht, weil er seine Tischgesellschaft nicht brüskieren wollte? Unsinn, er war eindeutig der Boss. Vielleicht ist es einfach die Aufgabe seiner Begleiterin, Deutsch zu reden und zu bestellen. Oder dieser Dolochow konnte gar nicht so gut Deutsch. Unsinn. Wenn sich ein Oligarch einen Doppelgänger leistet, dann sicher einen, der dieselben Sprachen spricht wie er. So etwas lässt sich ja lernen. Vielleicht ist der Doppelgänger neu. Spinn nicht, Mira, Dolochow wird einfach gefunden haben, soll doch seine Begleiterin in der Fremdsprache bestellen. Ich kenne Franzosen, die können hervorragend Deutsch und weigern sich, es zu sprechen.
Vesna steht in ihrem Büro und telefoniert hektisch. Ob sie sich ihre Arbeit als Unternehmerin so vorgestellt hat? Eigentlich wollte sie ja ein Detektivbüro eröffnen, aber da hätte sie zuvor jahrelang als Detektivanwärterin arbeiten müssen, und dieser Job, das war ihr bald klar, ist nichts für sie. Dann beschloss sie, sich als Putzfrau selbstständig zu machen. Jetzt hat sie bereits Angestellte. Und auch ihre studierenden Zwillinge arbeiten bei ihr stundenweise – mehr oder weniger freiwillig – mit.
»Wenn du krank bist, dann du brauchst Ersatz! Basta!«, schreit Vesna ins Telefon und legt auf.
Sie sieht mich an und seufzt. »Draga. Ist schon zum zweiten Mal krank in vier Monaten. Ich weiß, sie ist angestellt, sie darf das, der Arzt gibt ihr Attest, sie hat Erkältung. Aber das geht so nicht bei mir, das kann ich mir nicht leisten. Früher, wenn wir geputzt haben, nicht legal, sondern schwarz, und eine ist krank geworden, hat sie andere als Ersatz geschickt. Damit Auftrag nicht verloren geht. Warum soll das jetzt nicht gehen? Sie hat Freundinnen und Verwandte genug. Sie kann sehr froh sein, dass sie diesen Job hat und Sozialversicherung und Anmeldung und alles.«
Ich nicke. Die Realität sieht eben manchmal anders aus als die schönste Sozialtheorie. Da bin ich natürlich für das Recht auf Krankenstand und all so etwas.
»Hast du ein paar Minuten Zeit?«, frage ich Vesna.
Sie sieht rasch auf die Uhr. »Eigentlich ich muss weg, putzen statt Draga bei dieser Professorin, die ist sowieso schrecklich genau.«
Dann mache ich es kurz: »Dolochow ist tot. Zuvor ist er gefoltert worden.«
Vesna macht keine Anstalten mehr, zu gehen. Sie hört mir gespannt zu. Sie werde versuchen, jemand anderen für das Putzen zu organisieren, weil Nachforschungen in diesem Haus am Graben, das sei »Chefsache«. Und sie bestärkt mich: Ich muss herausfinden, wie lange Dolochow schon tot war. »Wie hat er ausgesehen? Du sagst, Maden in den Augen? Welche Farbe? Wie groß?«
»Meinst du wirklich, ich habe mir das genau angesehen?«
»Und Fliegen auch?«
»Ja.« Mir schaudert, wenn ich daran denke.
»Er war schon länger tot als einen Tag. In der Nacht ist es jetzt zu kalt, da kommen keine Fliegen und legen Eier.«
»Du weißt das?«
Vesna schüttelt bedauernd den Kopf. »Wissen? Nein. Aber ich vermute. Und jetzt fahre ich zur Wohnung. Du hast Adresse von der Putzfrau?«
»Ich nicht, aber mein Chefredakteur.«
»Dann du schickst mir SMS .«
»Kann so etwas auch überwacht werden? Irgendwie irgendwo abgelesen werden?«
Vesna sieht mich an. »Ehrlich: keine Ahnung.«
Ich gehe die schmale Straße entlang, biege in die breitere Querstraße ein. Da steht mein Auto. Ich sehe mich um. Verfolgt mich jemand? So ein Quatsch, wer sollte das tun? Ich setze mich in meinen Honda und rufe Zuckerbrot an. Er geht nicht dran. Verdammt. Ich wähle die Nummer der Kriminalpolizei und verlange Dr. Zuckerbrot. Eine Sekretärin ist am Apparat. Zuckerbrot sei nicht zu sprechen für mich, sagt sie, ich solle mich an den Ermittlungsleiter Czerny wenden.
»Der heißt Hofmann«, erwidere ich.
»Der war von der Einsatzgruppe Tatort. Es gibt eine Sonderkommission. Czerny leitet sie, aber er gibt keine Informationen an die Presse, nur falls Sie das meinen.«
Ich seufze. Pfeife darauf, dass
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