Russen kommen
Mobiltelefone leicht abgehört werden können. »Ich weiß etwas zum Dolochow-Mord. Und ich rede ausschließlich mit Zuckerbrot darüber.«
Stille in der Leitung. Ich will schon auflegen, da höre ich: »Zuckerbrot hier. Was gibt’s?« Es klingt ganz und gar nicht freundlich. »Wenn Sie etwas wissen, dann kommen Sie her. Wenn das aber eines Ihrer Spielchen ist, dann vergessen Sie es.«
»Ich rede ausschließlich mit Ihnen«, sage ich.
»Bedingungen gibt es keine. Da Sie vorgeben, etwas zu wissen: Das ist eine offizielle Vorladung. In einer halben Stunde melden Sie sich beim Journaldienst.«
»Ist ja okay«, sage ich beschwichtigend, »ich komme.«
Zuckerbrot legt auf, und ich überlege, womit ich ihn geärgert haben könnte. Außer mit dem Umstand, dass Dolochow tot ist und er sicher eine ganze Menge Behörden und Politiker am Hals hat. Aber dafür kann ich nun wirklich nichts. Vielleicht hat seine Unfreundlichkeit auch mit seiner neuen Funktion als interimistischer Chef der Kriminalpolizei zu tun. Ich fahre los und merke auf einmal, wie müde ich bin. Der heutige Tag hat früh begonnen.
Ich werde in Zuckerbrots neues Büro geführt, es ist deutlich größer als sein früheres. Er ist nicht allein. Neben ihm steht ein untersetzter Mann um die fünfzig. Ich seufze.
»Czerny, Leiter der Sonderkommission Dolochow«, stellt Zuckerbrot ihn vor.
»Mira Valensky«, sage ich und gebe ihm die Hand.
Zuckerbrot scheint aus irgendeinem Grund erleichtert zu sein. Vielleicht hat er befürchtet, ich würde wiederholen, dass ich ausschließlich mit ihm rede. Ich kenne meine Grenzen. Zumindest meistens. Vielleicht bedeutet das, erwachsen zu werden. Will ich das? Ich gebe auch Zuckerbrot die Hand, wir gehen hinüber in die Besprechungsecke. Ein kleiner Tisch, vier Sessel rundherum. Zuckerbrot hält sich nicht lange mit Vorreden auf. »Was wissen Sie?«, fragt er mich.
»Information gegen Information«, erwidere ich und versuche ein Gesicht wie beim Pokern zu zeigen. Ausdruckslos. Ich bin nicht gut darin. Im Gegenteil: Oskar meint, auch wenn ich mich zu verstellen versuche, an meinem Gesicht erkenne man immer, was los sei.
Zuckerbrot starrt mich an. »Wissen Sie eigentlich, womit Sie hier spielen? Das ist ein Fall von internationaler Tragweite, ein sogenannter Ministerfall, man will auch in Moskau alles ganz genau wissen. Man besteht auf Zusammenarbeit bei der Klärung. Russische Ermittlungsbehörden.« Zuckerbrot knurrt, als er das ausspricht. »Sie haben da keine Forderungen zu stellen«, fährt er fort, »Sie haben zu kooperieren. Und: Sie sind nicht James Bond.«
»Nicht einmal ein Bond-Girl«, erwidere ich. »Aber eines weiß ich: Dolochow war vorgestern noch an der niederösterreichisch-tschechischen Grenze und hat ein Grundstück gekauft.«
Die beiden starren mich an. Volltreffer. Ganz klar, dass sie keine Ahnung davon hatten. »Dolochow ist schon länger tot, nicht wahr?« Ich sage es so beiläufig wie möglich.
Czerny räuspert sich. »Haben Sie Beweise?«
»Für den Todeszeitpunkt?«
Zuckerbrot haut auf den Tisch, ich kenne seine, wenn auch seltenen cholerischen Ausbrüche, jetzt ist einer im Anmarsch. »Für seinen Ausflug!«
Ich habe aus dem Weinviertel einige Exemplare des »Weinviertelboten« mitgebracht und lege jetzt eines auf den Tisch. »Sowohl der Redakteur, er heißt Fabian Urbanek und arbeitet hauptberuflich als Gemeindesekretär, als auch die Sekretärin des Bürgermeisters bestätigen es: Dolochow war vorgestern bei ihnen. – Wie lange ist er schon tot?«
»Es gibt keine Informationen für die Presse«, sagt Zuckerbrot gröber, als ich es von ihm gewohnt bin. Vielleicht muss er vor diesem Czerny die Rolle des Harten spielen. Immerhin ist der frühere Chef der Kriminalpolizei wegen angeblicher Freunderlwirtschaft suspendiert worden. Während sein Gegenspieler, der oberste Polizist Wiens, gerade auf sein Verfahren wegen Korruption und Geschenkannahme wartet.
Eigentlich ist mir auch so klar: Dolochow ist schon länger tot, und die beiden wissen jetzt, dass der Fall noch etwas komplizierter wird als ohnehin schon gedacht. Dass es keine Informationen für die Presse gibt, kann mir an sich nur recht sein. Ich habe ja trotzdem so einiges erfahren. Aber: Was schreibe ich bis morgen Mittag für das »Magazin«? Und: Wie lange wird das Stillschweigen anhalten?
Zuckerbrot ist aufgestanden, Czerny folgt pflichtschuldig seinem Beispiel. Ich habe keine Lust, zu den beiden Männern aufzuschauen, und erhebe
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