Russen kommen
einem gehackten hart gekochten Ei darübergießen.
»Die Vorspeise ist fertig!«, rufe ich.
Ganz entkomme ich dem Russen-Thema allerdings nicht. Als ich die Suppenteller abserviert habe, dreht Oskar den Fernseher an und will die zweite Nachrichtensendung sehen. Ich bin ja auch neugierig, was das Fernsehen über Dolochow bringt. Eigentlich sollte ich beobachten, ob inzwischen auch in ausländischen Kanälen über den Fall berichtet wird. Viele Fernsehstationen haben in Moskau Korrespondenten. Was, wenn schon einer mit dem überlebenden Dolochow geredet hat? Der vom ORF hat es jedenfalls nicht getan. Er steht vor der imposanten Geschäftszentrale Dolochows und betet mehr oder weniger das nach, was ich geschrieben habe. Ergänzt durch den Hinweis, dass Dolochow lebe und dass er mit dem russischen Präsidenten nach wie vor auf sehr freundschaftlichem Fuß stehe. Mit ein Grund, warum von »ganz oben« auf die rasche Aufklärung des mysteriösen Wiener Mordfalles gedrängt werde.
Und wenn der Oligarch doch nicht mehr lebt? Gesehen hat ihn der Korrespondent offenbar nicht. Wenn er vielleicht sogar von seinem Bruder ermordet wurde, weil dieser in seine Identität schlüpfen wollte? Aber das würde wohl zumindest Boris Dolochows Ehefrau auffallen. Und was, wenn er sie bedroht? Oder wenn sie mitspielt? Weil sie ein Verhältnis mit dem Bruder hat? Spinn nicht, Mira. Wer hat mich tatsächlich angerufen? Ich gehe in die Küche, drehe eine Gasflamme auf das Maximum, heize den Wok auf.
Geröstetes dunkles Sesamöl hinein, ein paar Chiliflocken, dann die grünen und weißen Spargel einlegen, salzen und einige Minuten schwenken. Ob ich morgen Dolochow begegnen werde? Ich muss mir Fragen ausdenken, die klären können, ob ich Boris oder Wassili vor mir habe. Warum will er sich mit mir treffen? Ich gebe die Welsstreifen, in Ringe geschnittene Jungzwiebel und Sesam dazu und röste das Ganze weiter, bis der Wels glasig ist.
»Ich habe mit einem Kollegen gesprochen, der gute Verbindungen nach Russland hat. Er sagt, Dolochow gelte als seriös. Aber er kennt ihn nicht persönlich«, sagt Oskar. Er hat den Fernseher wieder ausgeschaltet. Ich bin richtig gerührt, dass er versucht hat, über seine Kontakte etwas herauszufinden.
»Zumindest was man eben so unter seriös versteht bei Geschäftsleuten«, erwidere ich und stelle den nächsten Gang auf den Tisch. »Ich werde mit Sicherheit nichts tun, was gefährlich werden könnte.«
Oskar seufzt. »Wenn sich das nur so einfach abschätzen ließe.«
»Du weißt doch, dass ich eigentlich ein Feigling bin. Denk ans Skifahren am Arlberg. – Koste doch endlich!«
Oskar ist vom Spargel mit Wels begeistert, und auch ich lasse mich gern vom Thema Nummer eins ablenken. »Wichtig ist, dass man den Fisch nicht zu lange mitbrät«, sage ich. »Sonst wird er strohig.«
Die weißen Spargelspitzen koche ich in einem kräftigen Salz-Zucker-Wasser bissfest, die dünnen Hühnerbrustscheiben lege ich in eine Pfanne mit heißem Öl, zwei Minuten auf der einen, zwei Minuten auf der anderen Seite braten, und schon sind sie zart und gar. Dann kommen sie auf den Spargel, darauf noch ein Bärlauchblatt zur Dekoration und fertig. Und ab jetzt reden wir wirklich nicht mehr von Milliardären aus dem Osten und gefolterten Menschen auf Dachterrassen in nobelster Wiener Lage. Aber ich überlege. Dolochow hat am Telefon behauptet, die Wohnung nicht zu kennen. Was, wenn er auch Sonja, die junge Russin, nicht kennt? Wenn da wirklich zwei Dolochows, ganz unabhängig voneinander, unterwegs waren?
Irgendwann, kurz vor Mitternacht, gelingt es Oskar dann, mich die Russen ganz und gar vergessen zu lassen. Zufrieden schlafe ich in seinen Armen ein und denke schon wenige Minuten später an gar nichts mehr. Was ich träume, ist mörderisch schön und hat gar nichts mit einem Mordfall zu tun.
Eigentlich wollte ich ja auf den Arlberg. Aber der Termin mit Dolochow, oder wer immer da kommt, ist wichtiger. Ich kontrolliere schon zum zweiten Mal mein Aufnahmegerät. Alles in Ordnung. Wer weiß, ob ich es benutzen darf. Wie wäre es, wenn ich ein kleines Gerät heimlich in der Jackentasche mitlaufen ließe? Quatsch. Wenn es eine Falle ist und sie finden es – gar nicht gut. Wenn es keine Falle ist, brauche ich solche Methoden nicht.
Einige meiner Kollegen vom »Magazin« haben mir zur Reportage gratuliert, aber ich habe auch gehört, wie der Chronik-Chef zu einem Wirtschaftsredakteur gemeint hat, Droch schiebe mir eben alle
Weitere Kostenlose Bücher