Russen kommen
Topthemen zu und jetzt sei ich gerade dabei, auch den neuen Chefredakteur einzuwickeln. War mir gar nicht bewusst, dass ich eine so große Wirkung auf Männer habe. Ich nehme es als Kompliment. Außerdem ist es ja irgendwie schön, wenn sich die Richtigen über meinen Erfolg ärgern.
SMS von Vesna. »Komm ins Hotel Delphin.« Es folgt die Adresse. Wenn Vesna mir so etwas schickt, anstatt anzurufen, muss sie etwas herausgefunden haben. Hoffe ich zumindest. »Ja«, sende ich zurück und mache mich sofort auf den Weg.
Dieser Frühling in Wien ist sensationell, mehr als zwanzig Grad, die Menschen sehen fröhlich aus, selbst die Häuser wirken leichter, der Asphalt scheint weniger grau, die U-Bahn wie frisch geputzt. Was ein bisschen Sonne ausmacht.
Das Hotel »Delphin« gehört zu den vielen kleinen, beinahe versteckten Hotels, die es in der Wiener Innenstadt gibt. Ich bin einige Male daran vorbeigegangen, Altbau mit heller Fassade. Heute schaue ich genauer hin: drei Stockwerke, hohe Holzfenster, die meisten gehen auf eine ruhige Seitengasse hinaus. Vier Sterne. Ich trete in die kleine Lobby mit Marmorboden. Hier ist erst vor Kurzem umgebaut worden, so viel ist klar. Viel Licht, klare Formen. Vesna winkt von einer Sitzgarnitur aus. Rote, schwere Lederfauteuils. Neben ihr sitzt eine junge Frau in schwarzem Hosenanzug, er wirkt irgendwie wie eine Uniform.
»Das ist Valentina, sie arbeitet an Rezeption, sie ist aus Russland«, sagt Vesna zu mir. Wir begrüßen einander, ich bin gespannt, was diese Valentina mit meinem Dolochow zu tun haben könnte. Freundin? Uneheliche Tochter? Schön langsam bin ich bereit, alles zu glauben.
»Ich habe hier im Hotel ermittelt, vor ein paar Monaten. Es ist einiges weggekommen, da stehen alle unter Verdacht. Valentina auch. Noch dazu als Russin. Und da ist das Problem mit ihrem Visum.« Vesna verzieht das Gesicht. »Ich habe geklärt, was los war. Zwei vom Installationsbetrieb, die nach Umbau alles geprüft haben. Valentina ist mir dankbar. Sie hat im Internet nach Wassili Dolochow gesucht. Auf Seiten auf Russisch.«
Valentina nickt, lächelt und sagt in sehr gutem Deutsch: »Ich bin Ihrer Freundin etwas schuldig, ich bin nur mit einem Touristenvisum da, man bekommt hier so schwer eine Arbeitserlaubnis. Ich betreue an der Rezeption stundenweise die russischen Gäste. Eigentlich den ganzen Tag lang, aber das macht mir nichts. Es ist gut bezahlt. Ich habe in der Nacht nach diesem Wassili Dolochow gesucht.« Kunstpause.
»Und?«, sage ich.
»Es gibt nicht viel über ihn, habe in Moskau auch noch nie von ihm gehört, aber was es gibt, ist interessant: Er war mehrere Male in zwielichtige Geschäfte verwickelt, hatte auch mit der Polizei zu tun, aber es ist immer alles vertuscht worden. Er scheint nie verurteilt worden zu sein.«
»Welche zwielichtigen Geschäfte?«
»Einmal hat er Import-Export mit Schwimmbädern aufgezogen. Er hat sich von seinen Kunden in Moskau Anzahlungen machen lassen, aber die Schwimmbäder aus Deutschland sind nie gekommen. Damals wurde er zusammengeschlagen und schwer verletzt. Da habe ich auch den einzigen direkten Zusammenhang mit seinem Bruder gefunden: Eine unabhängige Moskauer Zeitung hat geschrieben, er sei der Zwillingsbruder des Oligarchen Dolochow, und der werde ihm wohl wieder aus der Patsche helfen. Das war vor drei Jahren.«
»Steht irgendwo, wo er wohnt, wo genau er lebt?«
Valentina schüttelt den Kopf. »So etwas wie eine Firmenhomepage hat er nicht. Und in den gängigen Adressenverzeichnissen Moskaus taucht er auch nicht auf. Letztes Jahr hat er offenbar eine Zeit lang in einer Luxushotel-Suite am Schwarzen Meer verbracht und ist dann ohne zu zahlen abgereist. Das findet sich im Blog einer Hotelangestellten. Keine Ahnung, wer die Rechnung gezahlt hat, vielleicht sein Bruder.«
Wo hat Dolochow am Arlberg gewohnt? Und: Hat er dort gezahlt? Müsste sich herausfinden lassen.
»Danke«, sage ich. »Können Sie das Wichtigste auf Deutsch zusammenfassen? Ein paar Zitate von den Internetseiten, das Blog. Es geht darum, dass ich etwas davon in meiner nächsten Reportage so unmittelbar wie möglich wiedergeben kann.«
»Kann ich machen. Ich kenne mich da aus. Ich habe zwei Jahre Journalismus studiert. Aber es ist bei uns momentan schwierig, wenn man eine Meinung hat. Ich bin auf Tourismus umgestiegen. Nächstes Jahr bin ich fertig. Dann suche ich legalen Job im Ausland.«
»Ganz schön unternehmungslustig«, lächle ich.
»Ach, wissen Sie, bei uns
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