Russen kommen
gibt es inzwischen viele gut ausgebildete Frauen, wir gehen gerne ins Ausland, das ist interessant, und man verdient mehr.«
»Und die jungen Männer?«
»Die sind irgendwie … Ich weiß nicht, wie man sagt: eingesessener.«
»Sesshafter.«
»Ja. – Für die Übersetzung muss ich aber etwas verlangen.«
Wir einigen uns auf einen nicht sehr hohen Preis. Dem Chefredakteur wird es recht sein, immerhin haben wir mit der jetzigen Ausgabe des »Magazins« das oberste aller Ziele erreicht: Wir haben die Auflage gesteigert. Und das nicht zu knapp. Von der Werbung, weil uns alle zitieren mussten, gar nicht zu reden.
»Wohin gehst du?«, frage ich Vesna, als wir beide auf der Straße stehen.
»Ins Büro. Ist eine Menge Verwaltung, die man machen muss. Leider.«
»Ich bringe dich hin.«
»Musst du nicht.«
»Doch«, ich sehe sie an.
»Auch du hast was zu erzählen«, sagt Vesna.
Ich nicke.
Vesna ist begeistert. Geheimtreffen zwischen mir und Dolochow in ihrem Büro. »Leider ist Fran auf der Uni momentan, er muss Videoüberwachung bauen, ganz dezent, dass ich immer sehe, was in Büro passiert. Und Bruno und Slobo müssen da sein, für alle Fälle, wenn das eine Falle ist.«
»Das klingt fast so, als würdest du dir das wünschen«, murmle ich. Natürlich bin ich auf das Treffen gespannt, aber ganz wohl ist mir nicht dabei.
»Du darfst nichts in die Hand nehmen, das er dir geben will. Und natürlich nichts essen oder trinken. Du weißt: tödliche Strahlen. Auch keine Blumen. Blumen schon gar nicht. Auch Bombe ist möglich. Ich werde Strahlendetektor auftreiben. Ich glaube, ich kenne jemand, der kennt jemand, der arbeitet in Seibersdorf, in diesem Strahlenzentrum.«
»Als Putzfrau?«, spotte ich.
Vesna sieht mich strafend an. »Als Forschungsdirektor.«
Bei ihr ist alles möglich. Auch dass sie mich zum Narren hält.
»So lange schon wollte ich neue Besprechungsgarnitur«, jammert sie. »Aber dann ich habe gedacht, wenn etwas teuer ist, finden Angestellte, ich habe zu viel Geld. Kunden finden, ich verlange zu viel Geld. Aber für einen russischen Milliardär …«
»Vielleicht ist er ohnehin Geheimagent«, versuche ich zu spotten, »Vesna, Dolochow sucht nur einen ruhigen Platz, um mit mir ungestört zu reden.«
»Ich habe Wodka. Und Prosecco.«
»Ich weiß nicht.«
»Alle Russen trinken.«
»Und alle Bosnier sind Moslems«, verallgemeinere ich zurück. Vesna wäre serbisch-orthodox, wäre sie überhaupt gläubig, und sie hat sich Hunderte Male darüber geärgert, dass man sie gelobt hat, weil sie kein Kopftuch trage.
Ein Anruf. Ich kenne die Nummer nicht. Aber jedenfalls ist es eine österreichische Mobilnummer,
»Peter da. Die geben nun doch eine Pressekonferenz im Polizeipräsidium, In dreißig Minuten. Sie wurden heute ziemlich belagert, es sind auch ein paar ausländische Fernsehteams da. Viele haben nach dir gefragt, ich hab gesagt, du bist auf Recherche, und dann geschwiegen wie ein Grab.«
Ich lache und verspreche, sofort zu kommen.
Zuckerbrot und Czerny sind hinter den vielen Radio- und Fernsehmikrofonen kaum noch zu sehen. Die Aufregung unter den Journalisten ist spürbar. Ich bin gerade im letzten Moment in den Saal gehuscht, bleibe weit hinten und habe gar nichts dagegen, dass mich die meisten nicht wahrnehmen. Der Pressesprecher der Bundespolizei wirkt angespannt. Ich kenne ihn. Der heutige Tag ist ihm mit Sicherheit zu stressig. Er hat von einer Tageszeitung in den Pressesprecherjob gewechselt, weil er lieber feste Dienstzeiten und nicht zu viel Druck haben wollte. Manchmal kann man sich irren, lieber Josef.
Jetzt kündigt er an, dass der interimistische Leiter der Wiener Polizei, Dr. Zuckerbrot, den Ermittlungsstand im Fall Dolochow zusammenfassen werde, »um dem Interesse der Medien entgegenzukommen«.
Na, da hat es zuvor schon einer Belagerung bedurft. Ich schaue mich um. Es sind einige Leute im Raum, die ich noch nie gesehen habe. Darunter sicher auch Korrespondenten, russische Journalisten. Aber nicht alle sehen wie Journalisten aus. Werden Zuckerbrot und Czerny von russischen Ermittlungsbehörden, vom russischen Auslandsgeheimdienst, kontrolliert?
Zuckerbrot räuspert sich. »Bei dem Toten handelt es sich um Wassili Dolochow, den Zwillingsbruder von Boris Dolochow. Er hat über die Firma ›Direktinvest‹ eine Wohnung am Wiener Graben gemietet und sich dort in den letzten zwei Monaten wiederholt aufgehalten. Er wurde im Laufe der vergangenen Woche von unbekannten Tätern an
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