Russen kommen
Lokals, in dem ich gemeinsam mit Billy Winter einige Monate gekocht habe, als er in New York war. Er kennt sich aus in der Branche. Bis zu Redaktionsschluss schaffe ich das allerdings nicht mehr. Egal.
Ich bin zufrieden. Wieder habe ich deutlich mehr als meine Kollegen. Auch wenn ich der Klärung des Mordfalles an sich nicht viel näher gekommen bin. Ich werde Manninger einfach nur so nach Schwarzgeld in der Hotelbranche fragen, um meine persönliche Neugier zu befriedigen. Ich werde mit der Story nicht weitermachen. Ich habe es Oskar versprochen. Ich fühle mich erleichtert und beruhigt und schicke meine vielseitige Reportage zwei Stunden vor Redaktionsschluss ins Layout. Ein Essen im »Apfelbaum«. Eine hervorragende Idee. Ich werde Oskar einladen. Als Wiedergutmachung. Ich suche Manningers Telefonnummer – mühsam, wenn alle gespeicherten Nummern mit dem Mobiltelefon weg sind –, wähle und erfahre Erstaunliches: Manninger ist … in Moskau! Er koche drei Monate lang in einem Gourmettempel, in dieser Zeit gebe es im »Apfelbaum« nur eingeschränkten Betrieb, erklärt mir der Mann am Telefon. »Wir haben eine kleine Karte. Manninger selbst ist erst wieder im Juli da.« Manningers Mobiltelefonnummer will der Mann im »Apfelbaum« nicht herausrücken, aber ich bekomme eine E-Mail-Adresse, unter der ich ihn erreichen kann.
Hallo Star-Koch, habe soeben gehört, dass du in Moskau bist und reiche Russen bekochst. Wie bist du auf diese Idee gekommen? Weiß nicht, ob du im Osten das »Magazin« liest, solltest du aber. Ich habe mich in den letzten Wochen ausgiebig mit Russen (lebendig und tot) beschäftigt. Kennst du vielleicht Dolochow? Oder »Direktinvest«? Auch wenn nicht, freue ich mich von dir zu hören. Ciao, Mira.
Wird wohl dauern, bis er wieder seine Mails checkt. Kein Problem. Ich räume meinen Schreibtisch auf, er sieht schon beinahe so chaotisch aus wie der des Chefredakteurs, und plane einen Frühschluss. Einfach ein wenig durch Wien spazieren, mich treiben lassen.
Eine neue Mail. Manninger muss vor dem Computer gesessen sein.
Liebste Mira, wie schön, etwas von daheim zu hören. Ich wollte es dir eigentlich sagen, bevor ich weggefahren bin (wäre ja vielleicht sogar eine kleine »Magazin«-Geschichte gewesen, »der Koch aus dem Weinviertel, der zu den reichen Russen geht«), aber es war dann alles so hektisch und ich habe es vergessen. Ich koche hier im » MO «, unfassbar schicker Laden, perfekte Küchentechnik, man merkt, dass hier Geld ist, und verblüffe verwöhnte Russen, indem ich mache, was mir gefällt. Nichts mit Gänseleber, Kaviar und solchem Zeug, sondern aufs Wesentliche reduzierte Küche. So gibt es zum Beispiel ein Gericht, das besteht einfach aus russischen Erdäpfeln, die sind wunderbar, mit Ziegenbutter und frischer Minze. Und weil das » MO « so angesagt ist, müssen alle herkommen, auch wenn sie an sich lieber ein Monstersteak mit Pfeffersauce oder Hummer von ich weiß nicht wo essen. Es geht mir also gut, und ich verdiene hier so viel, dass ich meinem nächsten Projekt im Weinviertel sehr nahe bin. Solltest du zufällig in Moskau sein, schau vorbei (du musst nicht zahlen!! – so viel verdienst du gar nicht…), ansonsten bis bald irgendwo sonst auf der Welt, dein Koch Günter.
Ich seufze. Klingt großartig. Vielleicht sollte ich wirklich nach Moskau fliegen. Nur so, damit ich weiß, wie die Russen daheim leben. Und Manninger besuchen. Ich könnte ja einige Tage bei ihm mitkochen – Mira, in so einem Nobelschuppen schmeißen dich die anderen Köche raus – und vielleicht nachschauen, ob »Direktinvest« doch irgendwo in Moskau zu finden ist. Was mich immer mehr interessiert; gibt es konkrete Geschäfte von »Direktinvest«? Arbeitet die Firma nach dem Tod von Dolochow weiter, oder ist das Unternehmen damit stillgelegt? Und: Was passiert mit dem eingezahlten Geld, sofern es welches gibt? Dolochow und Co haben am Arlberg jedenfalls mit Geld um sich geworfen. Dabei scheint Wassili mit allen vorhergehenden Geschäften wenig Glück gehabt zu haben. Vielleicht war der am Arlberg doch Boris. Bei dem Geld bekanntlich kein Problem ist. Was den Fall allerdings nicht einfacher machen würde.
Wenn man nur eine Verbindungsperson zu »Direktinvest« hätte … Aber die drei Russen vom Arlberg sind verschwunden. Oskar könnte sich als interessierter Investor ausgeben. Mira, vergiss es. Du hast es ihm versprochen. Zudem ist die Verbindung von Oskar zu mir doch recht einfach herzustellen.
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