Russen kommen
Auch wenn wir verschiedene Namen haben. Und verschiedene Wohnungen. Vielleicht ginge es also doch …
Als Hommage an Moskau und Manninger werde ich heute Abend Kartoffel mit Ziegenbutter und frischer Minze machen. Eine hervorragende Idee. Ich liebe Kartoffeln mit Butter. Leider bekomme ich auf dem Naschmarkt keine Ziegenbutter, dafür aber handgemachte Biobutter, klingt ja auch nicht übel. Apfelminze gibt es. Pfefferminze ist zu scharf, das weiß ich, die milde Apfelminze mit den runden Blattenden passt perfekt. Als Vorspeise habe ich mir etwas einfallen lassen, das mit dem russischen Borschtsch verwandt sein könnte. Seltsam, wie wenig ich über russische Küche weiß, aber Borschtsch ist jedenfalls irgendeine dicke Suppe mit Roten Rüben, glaube ich. Ich habe Lust auf Fisch. Ich kaufe zwei kleine ganze Knurrhähne, sie sind günstig, und ich brauche sie ohnehin nur für den Fond. Dazu ein kleines Tiefkühlpaket möglichst billiger Shrimps mit Schale. Auch für den Fond. Eine große Gelbe Rübe, eine große Karotte, einen Bund Jungzwiebel, zwei Bio-Rote-Rüben, bei denen bin ich wählerisch, sie können schrecklich muffig riechen, ich glaube, das hat auch mit zu viel oder falschem Dünger zu tun. Sechs wunderschöne frische große Jakobsmuscheln. Allein das Einkaufen macht mir Appetit. – Ob man das alles in Moskau auch so einfach bekommt? Wo kaufen die Reichen dort ein? Wo die vielen, die wenig haben?
Es wäre so schön. Eine hervorragende Gelegenheit. Manninger in Moskau. Ich müsste mich gar nicht um den Russen-Mord kümmern. Warum auch? In Moskau gibt es genug zu sehen. Vielleicht gelänge ein Treffen mit Dolochow? In diesem Lokal, dem » MO «. Einfach plaudern. Von Journalistin zu Oligarch. Du spinnst, Mira.
Der Fischfond köchelt bereits seit einer Viertelstunde. Fische, Shrimps, Jungzwiebel – da habe ich etwas von den zarten grünen Teilen als Garnitur aufgehoben –, Karotte und Gelbe Rübe, geschält, die Schalen auch mit im Fond. Pfefferkörner, Pimentkörner, ein Zweig Thymian, Salz.
Ich sollte noch einmal alles, was ich über den Russen-Mord weiß, zusammenfassen. Nur für mich selbst. Und vielleicht für Zuckerbrot, auch wenn der interimistische Leiter der Wiener Polizei gar nichts von sich hören lässt. Eigentlich könnte ich Dolochow ein Dossier schicken, kann gar nicht schaden, sich mit einem russischen Milliardär gutzustellen. Sollte er mich nur an der Nase herumgeführt haben und selbst viel tiefer im Fall drin stecken, als ich gedacht habe, dann hat er wenigstens etwas zu lachen. Und kann beruhigt sein, dass ich ihm nicht auf die Schliche gekommen bin. Ich wasche die Roten Rüben gründlich mit einer Bürste und schäle sie. Rubinrote Finger. Rotes Schneidbrett. Alles rot. Ich wüsste doch zu gern, wer meine Handtasche geklaut hat. Die Wunde an meinem Oberarm schmerzt nicht mehr, aber sie juckt, sie erinnert mich daran, dass ich überrumpelt worden bin. »Grüße aus Moskau.« Wer wollte mir da Angst machen?
Ich schneide die Roten Rüben in kleine Würfel, versuche, möglichst exakt zu arbeiten. Im » MO « hätte jeder Würfel wohl die genaue Seitenlänge von einem Zentimeter. Aber das kann man dort für sein Geld vermutlich auch verlangen. Dieser Professor Welser war voll Neid auf seine Kollegen, die um so viel mehr verdienen als er, die sich jeden Luxus leisten können. Neid und Gier sind nahe beieinander. Er ist sparsam. Warum? Um sich einmal mehr gönnen zu können? Geiz. Auch nahe verwandt mit Neid und Gier. Ich seufze. Wassili Dolochow, der ältere Zwillingsbruder, hat mit ansehen müssen, wie Boris erfolgreich und immer erfolgreicher wurde. Boris, der brav Deutsch gelernt hat, der immer strebsam und klüger war. Der wusste, wo die passenden Freunde sind. Irgendwann einmal wollte Wassili auch ein Stück vom Kuchen haben. Was ist dabei, wenn die Leute glauben, dass sein Bruder vor ihnen steht? Vielleicht hat alles so angefangen. Warum sollte er es nicht schaffen, mit »Direktinvest« ein Immobilienimperium aufzubauen? Oder ging es ihm von Anfang an nur darum, gutgläubige Investoren abzuzocken? Jetzt ist er jedenfalls tot. Auf einen Liegestuhl gefesselt, im eigenen Dreck, gefoltert, an Herzversagen gestorben.
Ich nehme die beiden Fische aus dem Fond. Wenn sie abgekühlt sind, ein Festessen für Gismo. Ich seihe den Fond durch ein Etamintuch in einen anderen Topf. Die Mitarbeiter des toten Dolochow sind verschwunden. Oder haben Zuckerbrot und seine Ermittler sie längst gefunden?
Weitere Kostenlose Bücher