Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Russen kommen

Russen kommen

Titel: Russen kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Rossmann
Vom Netzwerk:
seufzt, ruft dem Mann etwas auf Russisch zu. Er starrt sie ohne jede Regung an, schüttelt den Kopf. Karla sucht nach einem Ausweis, hält ihn hinaus, er nimmt den Ausweis, sieht ihn an. Karlas Stimme wird höher, sie schimpft, fuchtelt mit den Armen. Ich ziehe den Kopf ein. Noch immer völlig emotionslos, drückt ihr der Wachmann den Ausweis wieder in die Hand und öffnet das Gittertor.
    »Ich wohne hier seit Jahren«, sagt Karla, ihre Stimme ist wieder völlig normal, ohne jeden Groll. »Die Idioten tauschen dauernd das Wachpersonal aus, und die Neuen kennen einen dann wieder nicht. Wer weiß, aus welchem abgelegenen Dorf der Junge kommt. Jetzt ist er stolz, Wachmann in Moskau zu sein, und glaubt, es reicht, wenn er ein finsteres Gesicht zieht.«
    »Warum gibt es da Wachen?«
    Karla Seefeld sieht mich fassungslos an. »Du warst noch nie in Moskau, oder?«
    Ich blicke aus ihrem Wohnzimmerfenster. Vor mir breitet sich Moskau aus. Ihre Wohnung liegt im elften Stock, die Glasfront bietet ein unbeschreibliches Panorama.
    »Dort drüben ist der Kreml«, erklärt Karla. »Siehst du die goldenen Kuppeln? Und dort auf der anderen Seite eines der Stalin-Hochhäuser. Stalin wollte, dass sie prächtiger würden als die Wolkenkratzer in New York.«
    Ich nicke und bewundere Moskau im Sonnenuntergang.
    »Moskau kann ganz harmlos sein, einladend, gastfreundlich. Es kann aber auch gefährlich sein. Man weiß es hier nie«, sagt Karla, als wir gegessen haben. Köstliche Salzgurken und anderes eingelegtes Gemüse, auch sauer eingelegte Äpfel. Das sei für Russland typisch, hat mir Karla erzählt. Heringe, Räucherfische, Lachskaviar. Hervorragendes Brot. Ich kriege mit, dass Droch seiner alten Freundin doch so einiges angedeutet hat.
    »Ich werde dir helfen, nach den Personen zu suchen«, sagt sie. »Was ›Direktinvest‹ angeht, so habe ich schon recherchiert. Und nichts gefunden, gar nichts. Seltsam.« Sie runzelt die Stirn. »Was freilich keinesfalls heißt, dass die Firma nicht existiert. Sie könnte einfach aus einem Bankkonto bestehen. Da komme auch ich nicht dran. Wir hatten hier vor einigen Jahren einen riesigen Bankenskandal, danach wurde die Branche gesäubert, das war auch dringend notwendig. Aber die Aufsicht ist lange nicht so streng wie in Mitteleuropa. Könnte mit ein Grund sein, warum auch österreichische Banken so gern nach Moskau expandieren. Das ist allerdings nicht mein Spezialgebiet, muss ich zugeben. Was mich interessiert, sind die Menschen, wie sie leben, ihr gesellschaftspolitisches Umfeld. Und es ist mir bewusst, wie privilegiert ich hier bin.«
    Karla Seefeld hat am nächsten Vormittag »Termine«, welcher Art die sind, sagt sie mir nicht. Es steht mir auch nicht zu, danach zu fragen. Sie verspricht mir, nach Sachow und Sonja Rostowjewa suchen zu lassen. Und sie schlägt vor, ich solle doch einfach durch Moskau spazieren. Gorki-Park, Roter Platz, Einkaufsstraßen, dort in der Nähe sei auch das » MO «. Ich habe prächtig geschlafen, und alles, was in Wien war, scheint sehr weit fort zu sein. Ich fühle mich wohl bei der gastfreundlichen Karla, wohl und sicher. Keine SMS von Oskar. Niemand soll meine Spur nach Moskau verfolgen können. Deshalb schreibt er nicht. Er sorgt sich um mich. Nur deswegen war er auch so böse.
    Moskau. Ich nehme einen kleinen Stadtplan mit, passiere den Wachposten am Ausgang des Gebäudekomplexes und schlendere los, sehe mich um, mache Fotos, staune. Stände mit Fast Food, manche so wie überall auf der Welt: Pizza, Hot Dog, Burger, andere mit russischen Kartoffeln, die man sich mit allem Möglichen füllen lassen kann. Sieht köstlich aus. Heringssalat, Gemüsesalat, Shrimps, Käse. Hätte ich bloß nicht so viel zum Frühstück gegessen. Die Straßen sind staubig, der Verkehr ist hektisch und laut. In Moskau scheint es, dass Autofahrer immer Vorrang haben, Fußgänger werden bestenfalls geduldet. Radfahrer sehe ich keinen einzigen, wahrscheinlich sind sie alle schon tot.
    Schicke Auslagen mit Marmor und edlem Holz neben kleinen Fensterchen, hinter denen Ramsch aufgetürmt ist. Hohe Altbauhäuser, die sich von unseren in Wien gar nicht so stark unterscheiden. Je näher ich dem Kreml komme, desto teurer werden die Autos, desto schicker werden die Menschen, desto luxuriöser werden die Geschäfte. Dazwischen Busse mit Touristen, teilweise aus dem Ausland, teilweise aber wohl auch aus anderen Gegenden Russlands. Einen Tag über die boomende Hauptstadt staunen und dann wieder

Weitere Kostenlose Bücher