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Russen kommen

Russen kommen

Titel: Russen kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Rossmann
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die mir in gewisser Weise zu Dank verpflichtet sind. Ich habe in meinen Büchern und Fernsehdokumentationen immer versucht, fair zu sein, damit auch etwas zu bewegen, da und dort zu helfen. Es gibt fast nichts Schrecklicheres als die russische Bürokratie. Man kann darin verloren gehen. Es gibt aber auch nichts Unbürokratischeres als einen russischen Freund, der einen Freund hat, der weiß, wo ein Akt, wo eine Information, wo ein Formular liegt.«
    Die Putzfrau kommt und verabschiedet sich. Schnelles Gespräch auf Russisch, mir lächelt sie zum Abschied zu.
    »Sie ist großartig«, sagt Karla. »Lebt allein mit ihren zwei Kindern. Eigentlich ist sie Buchhalterin, sie arbeitet im Landwirtschaftsministerium. Aber da bekommt man so wenig gezahlt, dass man noch einen zweiten Job braucht. Ich zahle ihr für die paar Stunden mehr, als sie dort verdient. Aufgeben kann sie ihren festen Job trotzdem nicht.«
    Ich beginne von meinem Ausflug zum Kreml zu erzählen.
    Aber Karla scheint über etwas nachzudenken. Dann unterbricht sie mich: »Ich habe noch eine Nachricht: Sonja Rostowjewa – sie hat bei ihrer Mutter gewohnt. Sie ist seit vier Wochen verschwunden. Ihre Mutter hat eine Vermisstenanzeige gemacht, aber ob es irgendjemanden bei den Behörden gibt, der sie wirklich sucht … Ich weiß nicht, ihre Mutter hat nicht gerade viel Einfluss. Sie arbeitet in einer Kleiderfabrik am Rande Moskaus als Sachbearbeiterin. Ob jemand einen Zusammenhang mit dem Dolochow-Mord vermutet? Der Mord hat in Wien weit mehr Staub aufgewirbelt als hier. Es war ja nur der Zwillingsbruder des echten Dolochow.«
    »Du hast mit Sonjas Mutter gesprochen?«
    Karla schüttelt den Kopf. »Ich dachte mir, es ist besser, wir fahren zusammen hin.«
    Metro Moskau: Ich halte mich dicht an Karla, ganz Moskau scheint mit der Metro zu fahren, Menschenströme in die eine und in die andere Richtung, über dem Kopf kyrillische Buchstaben auf verschiedenfarbigen Tafeln.
    »Jede Metro hat eine andere Farbe«, erklärt Karla und schiebt sich zielsicher weiter. »Wir müssen zweimal umsteigen, Rostowjewa wohnt in einer der Siedlungen. Stalin hat jede Metrostation als ›Palast des Volkes‹ bauen lassen, sie sollten prächtiger sein als die im Westen und noch schöner als alles, was die Zaren gebaut hatten.«
    Ich habe die bombastische Architektur vor lauter Menschen und Hinweistafeln nicht beachtet, jede Menge Stuck und eindrucksvolle Leuchter, hohe, gewölbte Decke. Hier könnte man auch Bälle veranstalten. Oder Clubbings. Ich erzähle Karla vom Kitsch der Zaren, von diesen überdimensionalen, scheußlichen Märchenbrunnen vor der Kremlmauer. Sie lacht. »Das waren nicht die Zaren, die sind ganz neu. Die macht ein Freund des Bürgermeisters.«
    Die Tür des blechernen Waggons schließt sich, hier ist nichts pompös, dafür ist der Waggon so voll mit Menschen, dass man nicht umfallen kann.
    Je weiter wir uns vom Stadtzentrum entfernen, desto mehr Menschen steigen aus, desto größer scheinen auch die Entfernungen zwischen den einzelnen Metrostationen zu werden.
    Karla nickt. »Moskau ist ja auch deutlich größer als Wien.«
    Umsteigen. Noch einmal umsteigen. Ich würde mich hier nie zurechtfinden. Ich beobachte zwei Jugendliche in Ledermänteln, man könnte sie in jeder Großstadt antreffen. Auf einem der spärlichen Sitze eine alte Frau mit blauem Hut, der eindeutig schon bessere Tage gesehen hat. Neben ihr auf dem Boden zwei Einkaufstaschen aus gelbem Plastik, aus der einen schaut ein Krautkopf.
    »Hier müssen wir raus«, sagt Karla.
    Mir kommt es so vor, als wären wir schon richtig auf dem Land. Nahe der weißrussischen Grenze oder so. Wir fahren eine steile Rolltreppe nach oben, Plakate, Werbung, Ankündigungen an den Wänden. Billige Funktionalität. Keine marmor- und stuckverzierten »Paläste des Volkes« wie in der Innenstadt. Wir verlassen die Metrostation durch eine Glastür und stehen auf einem großen betonierten Platz. Zwei rundliche Frauen verkaufen Petersilie. Vor uns Hochhäuser, viele hohe Hochhäuser, rund um uns Steppe. Braunes Gras, ein paar Bäume mit spärlichen grünen Blättern.
    »Das ist eine typische Moskauer Siedlung«, sagt Karla. »Und praktisch gelegen, direkt an der Metro.«
    Nicht gerade anheimelnd. Schmutzig weiße und hellgraue Gebäude ohne jeden Schmuck, ohne jede architektonische Liebe, einzig zu dem Zweck errichtet, möglichst vielen Menschen eine Wohnung zu geben. Menschenverwahrungssilos. Wir passieren einen der

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