Russisch Blut
neben Alex Kemper auf dem Kutschbock saß und versuchte, die Königliche Hoheit zu geben. Nein – daß sie etwas mit dem Mann ihrer Schwester hatte, qualifizierte sie noch nicht zur Pferdequälerin. Und Peer Gundson? Der war ein typischer Aktenknecht. Der hatte unter Garantie noch nie auch nur eine Pferdenase angefaßt. Blieben Erin, Alma und Noa. Erin hatte Angst vor Tieren, da war sie sich ziemlich sicher. Katalina versuchte, den Gedanken zu erwischen, der sich soeben anmelden wollte. Vielmehr das Bild, das sich in ihren Kopf drängte. Da war etwas – bloß was?
Sie bückte sich und tätschelte Zeus, der zu ihren Füßen zu quengeln begonnen hatte. Dann stieß sie sich vom Koppelzaun ab und ging in die Abendsonne hinein. Blieb Alma. Sie hatte sie nie auch nur in der Nähe der Koppel oder des Pferdestalls gesehen. Alma war alles andere als eine Frischluftfanatikerin. Und Noa?
Katalina merkte, daß sie beim Gedanken an das verrückte Gör in sich hineinlächelte. Das Mädchen hatte in den letzten Tagen seine Teenie-Allüren eingemottet und die Anbetung von Onkel Alex eingestellt. Sie mochte Noa.
Aber half das weiter? Denn wenn Mutter und Tochter vielleicht auch nichts mit dem Tod von Rust zu tun hatten – sie lagen vorn, wenn es um einen möglichen Anschlag auf den alten Herrn ging. Hatte Alma etwas zu erben? Dann war ihr vielleicht daran gelegen, den Prozeß seines Sterbens ein wenig abzukürzen. Und Noa? Katalina wehrte den Gedanken ab. Das Mädchen war im Zweifelsfall nur ungeschickt gewesen. Und außerdem war Erin für die medizinische Versorgung des Patienten zuständig, in auffälliger Abwesenheit eines Arztes.
Die Sonne stand tiefrot am Horizont. Sie hatte vor lauter Grübeln nicht gemerkt, daß Zeus schon eine Weile nicht mehr neben ihr her lief und daß sie längst aus dem Park heraus war. Vor ihr lag das Kirchfeld. Sie hörte jemanden rufen. Einer der jungen Studenten schien etwas gefunden zu haben, jedenfalls liefen die anderen drei herbei, um mit ihm zusammen auf den Bildschirm des Laptops zu starren.
Die Schatzsuche, die erst Rust und nun Bergen hier betrieb, war ihr erst recht nicht geheuer. Im Dorf hielt man das entweder für »hirnverbrannten Blödsinn« (Walter Faber) oder man empörte sich darüber, daß die Frankens hinter den versteckten Kunstschätzen der Gräflichen her seien, die man offenbar schon zu DDR-Zeiten vergeblich gesucht hatte.
Katalina dachte an das, was sie vergraben hatte, als sie Glogovac zum zweiten Mal verließ. Es war ein Schatz gewesen, gewiß. Aber nichts, wonach man Jahre später noch suchen würde.
Zeus sprang um die Gruppe von Studenten herum, als ob sie eine Herde Schafe wären, die er zu hüten hätte. Katalina fing ihn ein und machte sich auf den Rückweg. Auf halber Strecke kam ihr Noa entgegengelaufen, in Jeans und Pullover, ungeschminkt, strahlend.
»Hallo Katalina«, rief sie und schwenkte einen Korb.
Katalina konnte in dem Korb ein Brot erkennen und ein paar Flaschen Bier. »Bist du zur Küchenbrigade versetzt worden?«
Noa lachte. »Endlich ist hier mal was los, findest du nicht auch?«
Klang so eine Giftmischerin?
Katalina hinderte Zeus daran, sich Noa anzuschließen. Nur widerwillig ließ er sich nach Hause zerren. Der Anblick daheim hob ihre Stimmung nicht. Die Pfauen hatten die Stiefmütterchen, die sie gestern erst eingepflanzt hatte, aus der Blumenschale gerupft. Sie ließ sich auf die Bank vor dem Haus fallen, atmete tief durch und schloß die Augen.
Die Puzzleteilchen ließen sich nicht ordnen, sie schwirrten wie im Kaleidoskop durch ihren Kopf: ein toter Hund. Ein kranker alter Mann, von dem niemand etwas wissen durfte. Ein übernervöses Pferd. Ein toter Wissenschaftler. Und Moritz Bergen. Hatte sie ihn gesehen, wie er den Unfall, dem Rust womöglich zum Opfer fiel, rekonstruierte? Oder hatte sie ihn, im Gegenteil, dabei überrascht, wie er das Tier erst konditionierte, um es später zum Täter erklären zu können? Und was war dran an der These der Frau Werner, Rust könne etwas gefunden haben und Bergen wolle den Ruhm dafür kassieren?
Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Sie legte die Beine auf einen der Stühle, lehnte sich zurück, überließ die rechte Hand Zeus, der neben sie auf die Bank gekrochen war und ihre Hand als Kopfkissen benutzte, und schloß die Augen.
Sie wachte von einer Vorstellung auf, die ihr den Schweiß auf die Stirn trieb. Zeus japste überrascht auf, als sie aufsprang und ins Haus stürzte. Im Flur atmete sie
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