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Russisch Blut

Titel: Russisch Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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tief durch und versuchte sich zu bremsen. Wenn etwas geschehen war, kam sie sowieso zu spät. Falls etwas geschehen war. Gott verhüte.

3
    Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf, dachte Katalina, während sie ihre Schuhe suchte, umtobt vom fröhlich kläffenden Zeus, der sie wahrscheinlich verschleppt hatte. Ihr stand plötzlich wieder vor Augen, was ihr schon auf Almas Soiree im Gartensaal aufgefallen war. Und da war noch etwas. Etwas, das sie bei ihrem Besuch bei Bauer Tenharden mitbekommen hatte.
    Tenharden war ein Dickschädel von der Sorte, wie sie für diese Gegend offenbar typisch war. Es hatte eine Weile gedauert, bis sie begriff, daß er nicht unfreundlich war, sondern wortkarg. Als sie an jenem Tag ankam, stand Tenharden im Hof, die Fäuste in die Seite gestemmt. »Na, dann wollen wir mal«, sagte er und setzte sich in Bewegung, ohne sie zu begrüßen oder ihr die Hand zu geben.
    Sie war ihm zu den Pferdeboxen gefolgt, vorbei an einem offenen Stall, in dem zwei Angusrinder standen. Tenharden hatte stumm auf die zweite Box links von der Eingangstür gezeigt. Sie trat näher. Das Fohlen schmiegte sich eng an die Schwarzwälder Stute und sah ihr mit großen Augen entgegen – ein schönes Kerlchen mit blonder Mähne und milchkaffeebraunem Fell.
    Sie ging in die Box, beruhigte die Stute und faßte dem Fohlen an die Läufe. Es zitterte, als sie ans rechte Knie kam. Eine Fleischwunde, die sich entzündet hatte. Sie gab dem Tier eine Spritze, trug Salbe auf die Wunde auf und ging dann hinaus, um bei Tageslicht die Quittung zu schreiben.
    Sie hatte den alten Mann nicht kommen sehen.
    »Sind Sie die neue Tierärztin?«
    Der Alte hielt einen Besen mit roten Borsten in der Hand und trug blaue Arbeitskleidung, durchscheinend vom vielen Waschen. Jacke und Hose waren viel zu groß für die magere Gestalt. Sie nickte.
    »Und Sie wohnen oben im Schloß?«
    »Im Kutscherhaus nebenan.«
    »Dann haben Sie den alten Grafen getroffen?«
    »Marten!« Tenhardens Stimme war unerwartet sanft, fast zärtlich gewesen.
    »Ich sag’ doch! Ich hab’ ihn gesehen! Vor ein paar Wochen. Oben beim Schloß, auf der Wiese bei den Grabsteinen.«
    »Da hast du wohl zu tief ins Glas geguckt, Marten, was?« Tenharden legte dem alten Knecht den Arm um die Schultern.
    »Nee, das war morgens, da war ich noch stocknüchtern. Und er stand einfach da und hat in sich hinein gelächelt.« Auch Marten lächelte. Katalina hatte lange nicht mehr ein solches Gebiß gesehen. Zu Hause war das üblich gewesen, da hatte kaum jemand über Dreißig noch all seine Zähne gehabt. Aber hier?
    Tenharden schüttelte den Kopf und sah Katalina an, als wolle er sich für die Flausen eines verrückten alten Mannes entschuldigen. Aber Marten grinste und sagte: »Ich weiß, was ich weiß.«
    »Und der Graf trug einen schwarzen Bart und schulterlanges schwarzes Haar?« Irgendwie ritt sie der Teufel. Sie hatte den grimmen Vorfahren der Hartenfels vor Augen, dessen Porträt im Gartensaal hing.
    »Natürlich nicht!« Marten sah sie an, als ob sie nicht ganz klar im Kopf wäre. »Sein Haar ist weiß! Er muß doch auch schon ein paar Jährchen auf dem Buckel haben!«
    »Marten!« Tenharden warf Katalina einen warnenden Blick zu. »Der alte Graf ist tot. Und der junge –«
    »Dann war es eben sein Geist!« Der Alte lachte keckernd und schob ab.
    Tenharden nahm die Quittung entgegen und bezahlte, ohne zu murren. »Es beschäftigt die Menschen hier immer noch, das Schloß«, sagte er zum Abschied. »Vor allem die Älteren. Mir wär’s schon recht, es würde da oben endlich mal was passieren. Etwas, das uns hier weiterbringt.«
    Dann hatte er verlegen gelächelt, so, als ob er mindestens vier Sätze zuviel geredet hätte.
    Endlich fand sie die Schuhe – tief unter den Kissen auf dem Sofa versteckt – und zog sie an. Sie lief die Treppe hinunter und am Park entlang zum Schloß hinüber, Zeus hechelnd hinterher. Wenn ihre These stimmte und wenn es jemand auf das Leben des alten Herrn abgesehen hatte, dann gab es dafür neuerdings noch mehr Gründe, als sie sich auszudenken gewagt hätte.
    Sie durchquerte den Schloßhof zum Turmflügel und rannte die Treppe hoch. Als sie die Tür zu seinem Zimmer öffnete, schienen ihre schlimmsten Befürchtungen eingetroffen zu sein: er lag wachsweiß in den Kissen und hatte die Augen geschlossen.
    Jetzt sprangen ihr die Ähnlichkeiten geradezu ins Auge: die prominente Nase. Die wulstige Unterlippe. Das flache Kinn. Sie hatte es geahnt, gespürt.

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