Russische Freunde
Orten wie im Erbschaftsamt wollte man mir keine Auskunft geben, zu Recht, wie ich mir eingestand. Und Perren direkt mit Fragen zu konfrontieren, wagte ich nicht. Wie denn auch. Ich konnte ihn nur tagelang beobachten und versuchen, Puzzleteile zu sammeln, um vielleicht einmal zu verstehen, um was es ging. Mit steigendem Risiko für mich. Schliesslich war Perren in einen Mord verwickelt gewesen, warum sonst hätte er Auftrag gegeben, den Bademeister abzulenken. Und an Gussew wagte ich mich schon gar nicht heran, niemals.
Ich würde nicht aufgeben, aber ich wollte Dinge tun, bei denen ich mich nicht unnötig exponierte. Den ganzen Vormittag starrte ich deshalb auf Fotos aus dem Stick. Es brachte nichts. Unmöglich zu erkennen, um wen es sich bei den Gesichtern, die manchmal halbabgedreht oder im Schatten lagen, handelte. Für das kannte ich mich in Politik und Wirtschaft viel zu schlecht aus. Jedenfalls entdeckte ich weder Perren noch Juri auf einem der Fotos. Nach rund hundert Bildern liess ich es bleiben, obschon ich längst noch nicht alle angeschaut hatte.
Stattdessen fiel mir Katrin Näf ein. Das war die Frau, die das Haus im Kirchenfeld mit Perrens Hilfe an AdFin verkauft hatte. Ihr konnte ich ja ein paar Fragen über Perren stellen, risikolos. Als ich bei Näfs anrief, hatte ich ein Kind am Telefon, die Mutter war bei der Arbeit. Ich liess mir erklären, wo sie beschäftigt war, sie arbeitete in einer Betonfabrik in der Nähe von Münsingen.
Die Büros der Fabrik befanden sich in einem flachen Gebäude, das an eine Baubaracke erinnerte. Ich fragte nach Katrin Näf, sie war als Kauffrau angestellt, war aber zurzeit nicht im Büro. Ich wurde aufs Gelände geschickt mit ein paar Hinweisen, wo sie zu finden sei. Zwischen Betonröhren, Betonblöcken und Betonwannen lief ich in die angegebene Richtung, verlor aber schon bald die Orientierung. In der Höhe über mir schwebte ein Kran, den ich zuerst gar nicht bemerkt hatte und der riesige Betonteile wie Spielzeugklötze hin und her bewegte. Fasziniert schaute ich zu, wie ein Arbeiter Anweisungen in ein Funkgerät sprach und wie meterlange Betonröhren wie Zündhölzchen nebeneinander auf der Ladefläche eines Sattelschleppers zu liegen kamen. Sobald ein Rohr auf dem Lastwagen lag, lösten Männer mit groben Handschuhen die Eisenketten. Ich hatte schon fast vergessen, weshalb ich hier war, als ein Arbeiter in einem Gabelstapler auf mich zufuhr und mich fragte, ob er helfen könne.
Auch wenn keiner der Männer direkt zu mir her blickte, das Erscheinen einer Frau wurde zur Kenntnis genommen. Mit belustigtem, leicht hämischem Lächeln, was meine Verlorenheit im Gelände anging. Als ich nach Katrin Näf fragte, deutete der Gabelstaplerfahrer nach hinten, rechts hinter dem Wellblechschuppen, meinte er. Ich sah keinen Schuppen, lief aber los. Nach ein paar Metern tauchte ein Gebäude vor mir auf. Ich ging weiter nach rechts, nur um mich kurz darauf wieder im Gelände zu verlieren, eine Steinwüste, in der sich niemand die Mühe machte, die verwitterten oder zerbrochenen Betonelemente wegzuräumen. Ich wollte schon umkehren, als ich eine Frau sah, die mir entgegenkam. Sie passte hierher, mit ihrer festen Statur, dick eingepackt in einen blauen Parka, und einem über die Ohren gezogenen Stirnband. Ich ging auf sie zu und sprach sie an. Bereitwillig blieb sie stehen und streckte mir zum Gruss einen Fäustling entgegen. Ich schätzte sie auf knapp fünfzigjährig, sie hatte eine Stupsnase im braungebrannten, aber schon faltigen Gesicht, ein schwach ausgebildetes Kinn, rot gefärbte Haare. Ich stellte mich vor und erklärte, ihre Tochter habe mir ihre Arbeitsadresse gegeben. Frau Näf nickte freundlich.
«Wenn Sie einen Moment Zeit hätten, würde ich Ihnen gerne ein paar Fragen stellen zu dem Haus im Kirchenfeld. Das Haus, das früher Ihnen gehört hat und das inzwischen vom Historischen Museum benutzt wird.»
Die anfängliche Freundlichkeit war weg.
«Das Haus gehört mir nicht mehr, ich habe es verkauft. Was wollen Sie denn?»
«Ist es richtig, dass Sie es an AdFin verkauft haben? Weshalb an AdFin und welche Rolle spielte dabei die Notariatskanzlei Perren? Wissen Sie, weshalb AdFin das Haus sofort wieder weiterverkauft hat, an die Stadt?»
Sie sah mich fassungslos an.
«Wie Sie ja zu wissen scheinen, habe ich die Angelegenheit Herrn Perren überlassen. Wie kommen Sie dazu, mir diese Fragen zu stellen? Sind Sie Journalistin? Weshalb interessieren Sie sich für das
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