Russische Orchidee
fuhr Artjom mit eindringlicher Stimme fort, während das Gejohle im Saal langsam leiser wurde.
Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht des Sängers.
»Du kamst, so zärtlich,
du kamst, so sündig,
und deine nachtschwarzen Augen
brannten sich tief in meine Seele.«
Die Stimme des Sängers war ziemlich dünn, er hauchte mehr ins Mikrofon, als daß er sang. Die erste Strophe ging im begeisterten Gejohle des Publikums unter. Die Kamera glitt über die Gesichter der Mädchen. Viele schluchzten.
»Ruslan Kudimow eroberte fast auf Anhieb nicht nur die Liebe des Publikums, sondern auch die Anerkennung vielerberühmter Kollegen. Die Stars begrüßten ihn als einen der Ihren«, kommentierte Artjom Butejko, immer noch in diesem einfühlsamen, ernsthaften Ton.
Der Saal verschwand, ein marmornes Foyer tauchte auf. Auf dem Bildschirm erschien ein bekannter Komponist.
»Dieser junge Sänger ging am Horizont unserer Schlagerwelt auf wie ein heller Komet. Ein solches Talent konnte nicht unbemerkt bleiben.«
»Ruslan ist einfach ein Wunder, jedesmal, wenn ich ihn singen höre, kommen mir die Tränen«, teilte eine alternde Schlagersängerin mit und warf ein Kußhändchen in die Kamera.
Dann war der Alte Arbat zu sehen. Zwei etwa vierzehnjährige Mädchen wurden von einem unsichtbaren Butejko befragt.
»Mögt ihr Ruslan Kudimow?«
»Ich bete ihn an! Ich nehme alle seine Konzerte auf!«
»Wenn ich seine Stimme höre und sein Gesicht sehe, wird mir ganz anders.«
Wieder erschien das Gesicht Ruslan Kudimows. Diesmal zeigte ihn die Kamera bei einem Festessen in einem Restaurant. Er lachte und hob sein Glas zum Mund. Das Bild erstarrte.
»Betrachten Sie aufmerksam Ruslans Gesicht, behalten Sie es so schön und fröhlich wie hier in Erinnerung«, sagte Butejko im Hintergrund mit kummervoller Stimme, »so sah er noch vor nur einer Woche aus, als wir seinen Geburtstag feierten.«
Das Bild setzte sich wieder in Bewegung. Es war ein Amateurfilm. Auf dem Bildschirm tauchte zwischen den trinkenden und essenden Gästen das Gesicht von Alexander Anissimow auf. Die Kamera tanzte unruhig auf und ab. Offenbar war es Butejko selber, der gefilmt hatte, denn er war im Bild nicht zu sehen.
»Ruslan hatte seine engsten Freunde eingeladen«, kommentierte die Stimme aus dem Off. »Vielleicht hat der eine oder andere von uns etwas zuviel getrunken, aber ein Geburtstag ist schließlich ein Geburtstag. Und jetzt schauen Sie bitte sorgfältig hin.«
Auf dem Bildschirm erschien ein schönes Mädchen, sie lachte laut, den Kopf zurückgeworfen. Offenbar war sie stark betrunken, vielleicht hatte sie auch Drogen genommen. Plötzlich sprang sie auf den Tisch und begann zu tanzen, wobei sie mit den Füßen das Geschirr auseinanderkickte.
»Das ist die Freundin eines Gastes«, kommentierte Butejko ruhig weiter, »sicher benimmt sie sich nicht gerade damenhaft, aber trotzdem, so darf man eine Frau nicht behandeln.«
Das Bild blieb stehen. Man sah, wie ein Kellner und ein Oberkellner versuchten, das Mädchen vom Tisch zu ziehen. Im Hintergrund schimmerte trübweiß das Gesicht des Sängers. Sein Mund war geöffnet. Als das Band weiterlief, hörte man, daß er schrie.
Dann huschten die Bilder mit unglaublicher Geschwindigkeit vorbei. Der Sänger ging mit den Fäusten auf die beiden Kellner los.
»Ja, Ruslan ist für das Mädchen eingetreten, das heißt, er hat sich benommen wie ein echter Gentleman«, erläuterte Artjom, »und noch könnte man alles friedlich regeln, noch könnte man sich miteinander verständigen.«
Na, den Eindruck habe ich nicht, dachte Borodin, während er die Schlägerei betrachtete, dafür sind die viel zu betrunken.
»Aber jetzt ist es zu spät«, teilte Butejko mit.
Im Bild erschienen mehrere Milizionäre. Ruhig und professionell bemühten sie sich, die Ordnung wiederherzustellen.Die wacklige Kamera fing für einen Moment das breite, mürrische Gesicht eines der Ordnungshüter ein. Wieder blieb das Bild stehen.
»Betrachten Sie aufmerksam dieses Gesicht. Es ist das Gesicht von Wassili Sokolow, Hauptmann der Miliz. Und jetzt sehen Sie sich ein letztes Mal Ruslan an.«
Die Aufnahme, die den Sänger zeigte, war offensichtlich nicht aus diesem Film, sondern nachträglich einmontiert worden. Der verträumte Gesichtsausdruck und die ordentlich gekämmten Haare paßten ganz und gar nicht zu einem betrunkenen Handgemenge. Wahrscheinlich hatte man eines der Promotion-Fotos von Kudimow benutzt. Gleich darauf kehrte die Kamera ins
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