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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Sonjas Zimmer.
    Sonja saß, im Nachthemd, gefesselt auf einem Stuhl. Im Zimmer befanden sich der Kaufmann Boljakin und sein treuer Chauffeur und Leibwächter Andrjucha. Der Chauffeur schlitzte mit einem kurzen Finnmesser die Kissen auf, der Kaufmann saß auf dem Fußboden und wühlte in Sonjas Wäsche. Der Arzt richtete seinen Revolver auf den Kaufmann.
    »Lassen Sie das, Konstantin Wassiljewitsch«, sagte Boljakin kopfschüttelnd, »das Haus wimmelt von meinen Leuten. Und auf Hilfe brauchen Sie nicht zu hoffen. Recht und Ordnung gibt es heutzutage nicht mehr. Ich habe Sie gewarnt – Sie hätten mir die Brosche freiwillig geben sollen.«
    Der Arzt blickte in Sonjas kreidebleiches Gesicht und ließ den Revolver sinken. An ihre Kehle war das kurze Finnmesser gesetzt.
    »Wollen Sie mir nicht lieber doch sagen, wo die Brosche ist?« fragte der Kaufmann, ohne sich vom Boden zu erheben, und wühlte weiter in der Wäsche herum. »Sonst müssen wir Sonja womöglich noch weh tun. Wir gehen nicht eher, als bis wir die Brosche gefunden haben. Ich warne Sie zum letzten Mal, geben Sie sie freiwillig heraus, sonst wird es zu spät sein.«
    »Es riecht nach Rauch«, sagte Andrjucha plötzlich.
    Die Tür wurde aufgerissen, der riesige Deserteur, der Neffe des Friedhofswächters, stürzte ins Zimmer, sah sich mit wilden roten Augen um, öffnete den Mund und fiel dann direkt auf den Kaufmann. Aus seinem gespaltenen Schädelschoß ein breiter, pulsierender Blutstrahl. Hinter ihm stand der Feldscher Semjon mit einer Axt. Der Kaufmann schrie auf, Andrjucha stürzte zu ihm, der Arzt schoß und traf den Chauffeur ins Genick. Verzweifelt zappelte der Kaufmann, begraben unter zwei mächtigen Körpern. Von unten hörte man ein furchtbares Poltern, dann verzweifeltes Geheul und schweres, schnelles Getrappel.
    »Konstantin Wassiljewitsch, wir brennen!« schrie der Feldscher. »Da sind noch zwei, ich habe sie eingesperrt, aber offenbar haben sie sich befreit. Wir müssen weg.«
    Der Arzt ergriff eine Schere, die auf dem Frisiertisch lag, und schnitt die Stricke durch.
    »Sonja, halt dir etwas vors Gesicht, du darfst den Rauch nicht einatmen.« Er tastete auf dem Fußboden nach dem Finnmesser, das dem Chauffeur aus der Hand gefallen war, bekam es zu fassen und warf es Semjon zu. »Wir müssen sie verjagen!«
    »Die sind längst abgehauen, das sind schließlich keine Idioten, gleich kracht ja das Dach ein!«
    In der Tür tauchte, eingehüllt in Rauch, eine gewaltige Silhouette auf, ein Schuß ertönte. Der erste Mann fiel, rappelte sich aber gleich wieder auf, hinter ihm stürzte ein zweiter herein. Schüsse krachten, der Rauch biß in die Augen, man konnte nichts mehr erkennen.
    »Zu Hilfe«, schrie der Kaufmann schluchzend, mit gepreßter Stimme, »helft mir heraus! Meine Beine! Sonja, mein Täubchen, retten Sie mich, es tut so weh …«
    Das alte Holzhaus brannte bereits lichterloh. Hustend, mit tränenden Augen, tastete sich Sonja zu Boljakin vor, der unter den beiden riesigen Körpern begraben lag, und streckte ihm die Hand entgegen: »Halten Sie sich fest, kommen Sie heraus!«
    Er krallte sich mit aller Kraft in ihr Handgelenk undächzte: »Ich lasse dich nicht weg! Verbrennen sollst du, bei lebendigem Leibe! Wo ist die Brosche?«
    Inzwischen hatte sich der eine der beiden Einbrecher auf den Arzt gestürzt, der andere auf den Feldscher. In dem kleinen, raucherfüllten Zimmer kämpften die vier Männer erbittert miteinander, und man konnte nicht erkennen, wer die Oberhand hatte.
    Sonja versuchte ihre Hand wegzureißen, aber der Kaufmann hatte sie fest gepackt und zog sie zu sich. Sie hustete, verschluckte sich am Rauch und konnte nur noch mit letzter Kraft verzweifelt schreien: »Papa!«
    Ihr Aufschrei verlieh Konstantin Baturin neue Kräfte. Es gelang ihm, einem der beiden Einbrecher mit dem Pistolengriff einen Schlag gegen die Schläfe zu versetzen. Über ihnen knirschte es bedrohlich, man hörte, wie auf dem Dachboden die Balken herabstürzten. Der Ganove schlug mit dem Kopf das Fenster ein, sprang aus dem ersten Stock und verschwand im Morgennebel. In seinem Revolver, den der Feldscher aufgehoben hatte, war noch eine letzte Patrone.
    »Die Brosche«, ächzte der Kaufmann hustend und stöhnend, »wo ist die Brosche? Gib sie her! Sie gehört dir nicht!«
    »Sonja, wo bist du? Antworte, Sonja!«
    Ein Schuß krachte, so nahe, daß es Sonja schien, man hätte auf sie geschossen. Vor Rauch bekam sie keine Luft mehr, begriff kaum noch, was

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