Russische Orchidee
wurde bekannt. Er bekam die Chance, eine eigene Sendung zu machen.
Lisa erinnerte sich deutlich an das breite Gesicht des Mannes in Milizuniform, an seine starren, kalten Augen von einem unbestimmten trüben Grün.
»Ich bitte dich, laß es gut sein. Begreif doch, für mich ist es sonst aus und vorbei. Man wird mich einbuchten.«
Lisa war ganz zufällig Zeugin dieses abstoßenden Gesprächs geworden. Im Haus des Films fand eine Festveranstaltung anläßlich des zehnjährigen Jubiläums der Sendung »Blitzlicht« statt. In der Pause stand Butejko mit einem jungen Mann im Foyer am Treppengeländer. Sie lachten, beide waren etwas angeheitert. Lisa war zufällig in der Nähe und sah, wie ein Milizionär auf die beiden zuging.
»Ach, du schon wieder?« Artjom schnitt eine angewiderte Grimasse. »Hör mal, Genosse Hauptmann, wieso hat man dich hier überhaupt reingelassen. Du hast hier doch gar nichts zu suchen.«
»In der Tat«, grinste Artjoms Bekannter, »womöglich kommst du noch auf die glorreiche Idee, wieder mal Ordnung zu schaffen, und haust irgendwem deine Faust in die Visage.«
»Jungs, bitte, hört auf damit«, sagte der Milizionär leise.
»Womit sollen wir aufhören?« fragte Butejko mit höhnischem Grinsen. »Den Leuten die Wahrheit zu sagen? Soll das heißen, dir ist alles erlaubt und uns nichts?«
»Darum geht es doch gar nicht … Ich bitte dich, bring diesen Film nicht, ich bitte dich von Mensch zu Mensch. Soll ich dir Geld dafür geben? Soll ich auf die Knie fallen? Für mich bedeutet es das Ende meiner Karriere, das Ende meines Lebens, versteh das doch … Wenn ihr auch nur einen Funken Mitgefühl habt, Jungs, dann verschont mich.«
»An Mitgefühl hättest du denken sollen, als du Ruslan mit der Faust ins Gesicht geschlagen hast. Hör auf, hier auf die Tränendrüsen zu drücken, das ist ja widerlich.«
Es war tatsächlich widerlich, das Schauspiel, das alle drei boten. Zwei gaben sich überheblich und arrogant, der dritte bettelte und erniedrigte sich. Butejko und seinem Freund machte das offensichtlich Spaß. Damals hatte Lisa sich regelrecht vor ihm geekelt.
Der Film wurde gesendet, der Hauptmann bekam drei Jahre. Zigtausende solcher Milizionäre aller Rangstufen vom Hauptmann bis zum Leutnant setzen in ganz Rußland ihre Fäuste ein. Manchmal tun sie es, weil es nicht anders geht, manchmal, weil sie unbeherrscht und sadistisch sind. Wollte man jeden hinter Gitter bringen, gäbe es keine Miliz mehr. Dieser Hauptmann war nicht schlechter und nicht besser als alle anderen. Er hatte nur Pech gehabt. Das Gesicht, in das er geschlagen hatte, um die Prügelei zu beenden, war das Gesicht eines populären Sängers gewesen. Und zufällig hatte gerade ein Reporter mit einer Amateurkamera in der Hand daneben gestanden. Artjom Butejko, der darauf brannte, berühmt zu werden.
Wenn schon sie als Außenstehende durch diese abstoßende Szene im Haus des Films eine bleibende Abneigung gegen Butejko gefaßt hatte, was mußte dann erst der Milizionär empfunden haben? Die drei Jahre waren inzwischen vorbei. Sicher war er schon wieder auf freiem Fuß.
Lisa fuhr ohne Licht die leere Straße entlang, alle Ampelnzeigten grün, und sie war so in Gedanken versunken, daß sie fast gar nicht auf den Weg achtete. Plötzlich begann das Handy in ihrer Handtasche laut zu klingeln. Sie zuckte zusammen. Bevor sie es herausnahm, schaltete sie noch die Scheinwerfer an. Etwa zehn Meter vor ihr ragte schwarz, ohne Warnblinklichter, ein riesiger Kühlwagen empor und versperrte den Weg. Lisa konnte gerade noch bremsen. Wenige Zentimeter vor dem LKW kam ihr Wagen zum Halten.
Sie legte den Rückwärtsgang ein und parkte am Rand des Bürgersteigs. Das Telefon schrillte noch immer.
»Lisa, entschuldige, sicher hole ich dich gerade aus einem wichtigen Gespräch mit deinem Chef«, hörte sie die verschlafene Stimme ihres Mannes. »Ich hatte plötzlich schreckliche Sehnsucht nach dir. Du warst so lange weg, jetzt bist du zurück und schon wieder nicht da.«
»Ich dachte, du schläfst«, erwiderte sie verwirrt.
»Ja, ich habe auch schon geschlafen, aber ich bin wieder wach geworden, ich weiß nicht, wieso. Ich wurde auf einmal so unruhig und habe beschlossen, dich anzurufen.«
»Danke, Michail. Ich bin bald zurück. Geh wieder ins Bett, warte nicht auf mich.«
»Danke wofür, Lisa?«
»Einfach so. Dafür, daß du angerufen hast.«
»Ich kann doch nicht schlafen, solange du nicht zurück bist«, brummte er, »mach möglichst
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