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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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schnell.«
    Sie steckte das Handy wieder zurück in die Tasche und zündete sich eine Zigarette an.
    Wie kann er das nur gespürt haben? Wenn er nicht aufgewacht wäre und angerufen hätte, wäre ich jetzt tot.
    Langsam fuhr sie wieder auf die Fahrbahn und vorsichtig um den Kühlwagen herum. Eine Viertelstunde später stoppte ihr Wagen auf dem großen leeren Hof an der Nowokusnezkaja.Juri war diesmal nicht mit dem Hund herausgekommen, um sie zu empfangen, wie er es gewöhnlich tat. Er öffnete ihr die Tür, Lotta begann freudig zu kläffen und an ihr hochzuspringen.
    Juri hielt ihr kühl die Wange zum Begrüßungskuß hin und wandte sich sogleich wieder ab, ging in die Küche, setzte sich auf einen Hocker, steckte sich eine Zigarette an und sagte laut, während er aus dem Fenster in die Dunkelheit blickte: »Wenn du glaubst, ich würde dir dabei Gesellschaft leisten, irrst du dich.«
    »Wie meinst du das, Gesellschaft leisten?« fragte Lisa erstaunt.
    »Ich habe nicht die Absicht, mir mit dir zusammen noch einmal die Kassette anzusehen. Deshalb bist du doch gekommen?«
    Er hat recht, dachte sie. Ich bin wirklich deshalb gekommen. Ich muß herausfinden, was los ist. Ohne ihre Stiefel auszuziehen und ihm eine Antwort zu geben, ging sie schweigend in die Küche und setzte sich ihm gegenüber.
    »Ihr seid doch alle gleich«, sagte er mit einer lauten, fremden Stimme, zog gierig an der Zigarette und starrte immer noch aus dem Fenster. »Deine schönen Worte, daß du deinem Mann nicht weh tun willst, sind nichts als Worte. Für dich ist diese Situation einfach bequem. Du hast einen Ehemann, und du hast einen Liebhaber. Du fährst für eine Woche nach Kanada, organisierst dir ein Abenteuer am Rande, weil weder er noch ich in der Nähe sind. Allerdings hast du dabei für einen Augenblick vergessen, wer du bist, und bist in die Falle getappt.«
    »Danke.« Lisa stand abrupt auf. »Gib mir die Kassette, und ich fahre nach Hause.«
    »Nein, warte. Ist dir noch gar nicht der Gedanke gekommen, daß ich irgendeine Erklärung hören möchte?«
    »Warum?«
    »Weil du mir weh getan hast.«
    »Entschuldige.«
    »Aber noch viel mehr hat mich gekränkt, daß du mir vormachen wolltest, es handle sich um eine Fälschung und das wärest gar nicht du auf der Kassette. Du mußt dir schon überlegen, wen du belügen willst, deinen Mann oder mich, sonst bringst du noch alles durcheinander.«
    »Gut, ich werde deinen weisen Rat beherzigen. Gib mir bitte die Kassette.«
    Er stand auf, ging auf sie zu, faßte sie bei den Schultern und drehte sie mit einem Ruck zu sich herum, so daß sie ihm ins Gesicht schauen mußte.
    »Lisa, begreifst du, daß es für immer ist, wenn du jetzt gehst?«
    »Haben wir eine andere Alternative?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Ja, ich weiß es auch nicht.« Lisa befreite sich aus seinem Griff. »Du wartest darauf, daß ich mich rechtfertige. Aber entschuldige, das werde ich nicht tun. Ich habe mich vor dir und vor Michail schuldig gemacht. Aber nicht mit dieser Sache. Nicht mit dieser Gemeinheit, die du auf der Kassette gesehen hast. So, das ist alles, Juri. Laß mich bitte gehen.«
    »Für immer?« fragte er kaum hörbar.
    »Ja.«
    Er ging ins Wohnzimmer und schlug die Tür zu. Einen Augenblick später hörte man es poltern. Lotta kläffte erschrocken auf.
    »Verdammt!« hörte Lisa und öffnete die Tür ein Stückchen.
    Er saß auf dem Fußboden und rieb sich das Bein. Neben ihm lag ein umgefallenes Regal. Im ganzen Zimmer waren Videokassetten verstreut.
    »Hier brauchst du nicht zu suchen«, knurrte er mit schmerzverzerrtem Gesicht, »nimm dir einen Stuhl, sie liegt dort oben auf dem Bücherschrank.«
    Hinkend begleitete er sie hinaus zum Wagen.
    »Was will er von dir?« fragte er, als er ihr die Autotür aufhielt.
    »Sendezeit.«
    »Und was beabsichtigst du zu tun?«
    »Nachdenken.«
    Sie gab ihm einen raschen Kuß, fuhr ihm über die kurzen grauen Haare und startete den Wagen. Als sie vom Hof in die Straße einbog, sah sie im Rückspiegel, daß er noch draußen stand und ihr nachblickte, mit Lotta an der Leine.
     
    Pjotr Petrowitsch rief Wowa am folgenden Morgen an.
    »Ich habe gefunden, was ich gesucht habe«, teilte er ohne Begrüßung sofort freudig mit.
    Wowa erschrak zuerst – ich hab’s ja gewußt, der Auftrag ist futsch! Aber dann besann er sich sogleich und dachte, in diesem Fall würde der Sibirier ihn wohl kaum anrufen, und außerdem konnte er auch nicht über Nacht jemanden für einen so delikaten

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