Russische Orchidee
Niederlanden. Eine Wiederholung der Geschichte mit dem Alten fürchte ich allerdings tatsächlich. Du mußt schon entschuldigen, ich bin einfach verpflichtet, dich zu kontrollieren. Das war von Anfang an so vereinbart. Was aber das heimliche Sich-aus-dem-Staub-Machen betrifft – da habe ich nicht die geringsten Bedenken. Du weißt selber, das geht daneben. Schließlich bist du nicht lebensmüde.«
»Alles klar.« Krassawtschenko blinzelte ihm vergnügt zu. »Sie wollen mich mit einer so charmanten Dame nicht allein lassen. Ihnen wäre lieber, das Verhör fände in Ihrer Gegenwart statt. Aber ich muß Sie leider enttäuschen. So funktioniert das nicht. Selbst wenn sie einverstanden gewesen wäre, diesen Journalisten zu treffen, so hätte ich sie wohl kaum überreden können, das Gespräch mit ihm spätabends im Hotelzimmer in intimer Atmosphäre zu führen.« Er lehnte sich selbstbewußt auf dem kleinen samtbezogenen Sofa zurück und schlug die Speisekarte auf.
»Vielleicht hat sie gerade deshalb abgelehnt, weil du ihr ein so zweideutiges Angebot gemacht und was von spätem Abend und intimer Atmosphäre vorgefaselt hast? Schließlich ist sie eine höchst ehrenwerte Dame von untadeligem Ruf.«
»Ich habe absolut nichts Zweideutiges gesagt, sondern sie sehr höflich und korrekt gebeten. Sie hatte nur einfach keine Lust. Übrigens gibt es noch eine andere unangenehme Neuigkeit. Ich habe herausbekommen, daß sie überhaupt keinen Alkohol trinkt. Das erschwert meine Aufgabe erheblich.«
»Aber es gibt doch auch nichtalkoholische Getränke,wie zum Beispiel Kaffee, Saft oder Mineralwasser. Du hast gesagt, dein Wahrheitselixier sei geschmack- und geruchlos.«
»Alkohol verstärkt die Wirkung des Präparats, es funktioniert mit Alkohol zuverlässiger. Außerdem, wenn jemand genau weiß, daß er keinen Alkohol getrunken hat, ist es für ihn viel schwerer zu begreifen, wieso er sich in einem so sonderbaren Zustand befunden hat. Wenn jemand trinkt, akzeptiert er viel leichter, daß er durch Alkohol einen Filmriß hatte. Aber bei einem Nichttrinker wird ein plötzlicher Blackout nach einer Tasse Kaffee oder einem Glas Saft großes Mißtrauen hervorrufen, besonders wenn er seinen Kaffee oder Saft in der alleinigen Gesellschaft eines ihm kaum bekannten Menschen getrunken hat.«
Der Kellner, ein freundlich lächelnder Chinese, trat an ihren Tisch, verbeugte sich tief und wartete auf die Bestellung. Krassawtschenko orderte wie immer einen ganzen Berg Essen, Malzew begnügte sich mit einer Portion seiner geliebten Tigergarnelen und Cranberry-Saft.
»Ich bin weiterhin der Meinung, daß man die Beljajewa anders packen muß.«
»Nämlich wie?«
»Ich habe ja schon meine übliche Vorgehensweise vorgeschlagen, aber Sie haben die Sex-Maßnahme nicht sanktionieren wollen, Sie haben gesagt …«
»Sex-Maßnahme, sanktionieren … Mein Gott, was für Ausdrücke«, sagte Pawel Malzew kopfschüttelnd. »Wenn du ihr mit deinen Maßnahmen kommst, wird sie schnellstens die Flucht ergreifen.«
»Sie brauchen sich gar nicht darüber lustig zu machen. Sie ist vierzig: letztes Aufflammen der Jugend, letzte Chance. Eine Frau in diesem Gemütszustand ist zu vielen Dummheiten bereit.«
»Natürlich! Und du glaubst, sie hungern alle nach Liebe, noch dazu ausgerechnet nach deiner, und sind zu allem bereit, unabhängig von Alter, Intelligenz und sozialer Stellung. Wieso rennen dir die notleidenden Damen eigentlich nicht die Tür ein? Die Beljajewa hat einen makellosen Ruf.«
Der Kellner brachte für Krassawtschenko einen riesigen Teller mit einer komplizierten Vorspeise aus Huhn und Fisch. Malzew stellte er ein Glas mit Cranberry-Saft hin. Der zog das Glas automatisch näher zu sich, fort von seinem Gesprächspartner.
»So was gibt’s nicht«, nuschelte Krassawtschenko mit vollem Mund.
»Doch, das gibt’s. Sie wird wohl kaum ihren Ruf und ihre Familie für ein Schäferstündchen mit einem so tollen Kerl wie dir aufs Spiel setzen.«
»Es geht nicht um mich. Ich sage es noch einmal, sie ist vierzig. Für eine Frau ist das ein kritisches Alter. Unbewußt strebt sie danach, nachzuholen, was sie bisher versäumt hat. Und wenn eine Frau zwanzig Jahre verheiratet ist und einen makellosen Ruf hat, heißt das, sie hat einiges versäumt. Das ist einfachste Psychologie.«
»Na schön, genug davon. Ich will mit dir nicht über Psychologie reden«, sagte Malzew stirnrunzelnd.
»Da machen Sie aber einen Fehler. Ohne Psychologie kommt man nicht weit.
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