Russische Orchidee
Fingerspitzengefühl und Taktik, das ist hier gefragt.«
»Die Beljajewa ist aber kein versoffener alter Wächter, der dir für eine Flasche Wodka alles erzählt, was du willst.«
»Apropos, den Alten habe ich auch bearbeiten müssen. Der individuelle Ansatz ist entscheidend. Meine Methodik zielt auf die einfachen menschlichen Schwächen ab, die Schwächen machen die Menschen gleich. Für einen Wächteraus der Provinz ist das der Alkohol, für eine wohlanständige Dame von vierzig der Sex.«
»Mit all deiner feinfühligen Psychologie hast du den alten Säufer aus der Provinz trotzdem nicht so bearbeitet, daß man ihn anschließend am Leben lassen konnte.«
Der Kellner brachte das Hauptgericht. Die Tigergarnelen waren so reichlich mit einer salzigen Sojasauce übergossen, daß Malzew sie nicht essen konnte. Krassawtschenko verputzte seine Muschelsuppe mit beneidenswertem Appetit.
»Ich bin ganz Ihrer Meinung, der Alte tut mir leid. Aber ich selber tue mir noch mehr leid. Der Alte war ein Schwätzer, jeder neue Bekannte war für ihn ein Ereignis, und wer weiß, wohin uns seine lose Zunge noch gebracht hätte.«
»Na schön, Gott mit ihm, reden wir nicht mehr drüber. Hast du irgendeinen bestimmten Plan? Vergiß nicht, die Zeit ist knapp, du mußt die Beljajewa hier in Kanada weichkochen. In Moskau dürfte das erheblich schwieriger werden.«
»Keine Sorge. Ich finde eine Gelegenheit, mit ihr allein zu sein, und alles weitere ist eine Frage der Taktik.«
»Du hast nur noch vier Tage. Die Variante mit dem Interview ist bereits danebengegangen. Ich rate dir dringend, dich nicht nur auf deinen umwerfenden Sex-Appeal zu verlassen, sondern noch ein paar Tricks in Reserve zu halten.«
»Alles schon vorbereitet.«
»Ausgezeichnet. Dann kann’s ja losgehen. Aber hör bitte einmal im Leben auf einen guten Rat: Sei nicht immer so sehr von dir selbst überzeugt.«
Die Rechnung zahlte wie immer Malzew. Krassawtschenko stand einfach auf und ging, ohne sich für das Essen auch nur zu bedanken.
Sobald Malzew wieder allein war, rief er bei seinem Bruderin Moskau an. In Moskau war es Nacht. Die Automatenstimme teilte mit, daß der Teilnehmer zur Zeit nicht erreichbar sei.
»Mit Ihrer Pistole wurde ein Mann erschossen, den Sie vorher zweimal bedroht haben. Sie wurden am Tatort festgenommen. Wir wollen die Zeit nicht mit langen Gesprächen verschwenden, legen Sie lieber gleich ein umfassendes Geständnis ab, das kann das Strafmaß mildern.«
»Ich habe niemanden bedroht und niemanden erschossen. Ich weiß nicht, wie ich in dieses Haus gekommen bin.«
»Aha, wir wollen also nicht gestehen? Wir wollen lieber leugnen?«
»Ich bin kein Mörder. Ich erinnere mich an nichts. Mir war sehr übel.«
»Ihnen war übel … Haben Sie vor der Tat getrunken?«
»Ich erinnere mich nicht.«
»Woran erinnern Sie sich denn?«
»An gar nichts.«
Sanja hatte der Untersuchungsführer vom ersten Moment an nicht gefallen. Er war ein kleiner älterer Mann, rund wie ein Milchbrötchen. Einer von denen, die äußerlich gutmütig, harmlos und ein bißchen einfältig wirken, von denen man aber nichts als Unannehmlichkeiten zu erwarten hat.
»Morgen wird man ein gerichtspsychiatrisches Gutachten duchführen. Aber auch ohne Gutachten kann ich Ihnen sagen, daß Sie auf mich vollkommen zurechnungsfähig wirken. Ich rate Ihnen, uns nichts vorzumachen.«
»Das habe ich auch gar nicht vor. Von mir aus können mich alle Experten der Welt untersuchen. Ich erinnere mich wirklich an nichts. Ich habe doch schon gesagt, man hat mir irgendein Zeug gegeben, das das Gedächtnis ausschaltet. Ich bin in einem fremden Hausflur zu mir gekommen, weil jemandgeschrien und ein Hund gebellt hat. Ich hatte nicht die geringste Absicht, jemanden umzubringen, schließlich habe ich Familie, ein kleines Kind.«
»Nicht die geringste Absicht … Und warum haben Sie sich dann eine Pistole gekauft?«
»Einfach so. Heutzutage haben viele Leute eine Pistole. Das ist eben schick und modern.«
»Viele? Wer denn zum Beispiel? Können Sie mir Bekannte von Ihnen nennen, die eine Schußwaffe besitzen?«
»Ich bin kein Spitzel.«
»Ist Ihnen bewußt, daß der illegale Erwerb, Besitz und das Tragen einer Waffe mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden können?«
Sanja schwieg und blickte zu Boden.
»Ich habe Ihnen eine Frage gestellt«, mahnte ihn Borodin sanft.
»Ja«, preßte Sanja kaum hörbar hervor, ohne den Blick zu heben.
»Das heißt, Sie haben
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