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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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abgehackt, blieb aber trotzdem stehen und ging nicht weg. Der Hauptmann dachte, daß der Junge wohl doch noch Chancen hatte.
    »Lena, ich habe dir bestimmt nicht nachspioniert. Das war reiner Zufall. Ich bin nur mit Shorik rausgegangen. Er hatte irgendwas Falsches gefressen und die ganze Nacht Durchfall, jede halbe Stunde kam er an und wollte raus.«
    »Du spionierst mir nach, du läßt mir keine Ruhe.«
    »Glaubst du, das macht mir Spaß zu sehen, wie du mit Spritti rumknutschst?«
    »Ich? Mit Spritti?« Das Mädchen schnaubte verächtlich. »Bist du völlig bescheuert? Wir haben bloß rumgestandenund uns unterhalten. Und überhaupt, was geht dich das an.«
    »Unterhalten, ach nee. Um halb zwei Uhr nachts. Lena, der hat doch jeden Monat ein neues Mädchen.«
    »Das ist nicht deine Sache. Ständig rennst du hinter mir her und mischst dich in alles ein. Es hängt mir zum Hals raus.«
    »Ich hab eigentlich überhaupt nichts gesehen. Wie dieser Idiot anfing rumzuböllern, war ich fast blind.«
    »Halt, Kinder, stop!« mischte sich Kossizki ein. »Wer hat angefangen zu böllern?«
    Sie starrten ihn erstaunt und feindselig an.
    »Also, ich gehe jetzt«, sagte Lena.
    »Nicht doch, seid bitte so nett und wartet einen Augenblick!« Der Hauptmann zog seinen Ausweis hervor. »Ich bin von der Miliz. Bei euch hier im mittleren Haus ist jemand ermordet worden. Ihr habt gerade gesagt, jemand hat um diese Zeit auf dem Hof Feuerwerkskörper gezündet. Habt ihr gesehen, wer?«
    »Irgend so ein Bekloppter«, sagte der Junge, verwirrt blinzelnd, »ein Mann, ein Erwachsener.«
    »Um wieviel Uhr war das?«
    »Tja, ich hab nicht extra auf die Uhr geguckt … Ich war mit dem Hund rausgegangen, er hatte Durchfall, das erste Mal so gegen zwölf, eine Viertelstunde waren wir unterwegs, dann sind wir nach Hause gegangen, aber ich hatte kaum die Schuhe ausgezogen, da wollte Shorik schon wieder raus.«
    »Das ist natürlich für alle ungeheuer interessant«, sagte Lena spöttisch. »Das muß unbedingt ins Protokoll, daß dein Shorik Durchfall hatte. Nebenbei, ich habe auch einiges gesehen, zum Beispiel, wie der Mann weggerannt ist, ein kräftiger, großer Kerl war das, so ein breites Kreuz. Aus diesem Eingang ist er rausgekommen, und nichts wie weg. Der, derdie Böller abgefeuert hat, ist hinter ihm hergelaufen. Sie sind um die Ecke gebogen. Ich konnte sie nicht gut erkennen, es war dunkel und zu weit weg. Nur ihre Umrisse.«
    »Kannst du denn denjenigen, der die Böller abgefeuert hat, genauer beschreiben?«
    »Nein.«
    »Und du?«
    »Ich hab ihn auch nicht besonders deutlich gesehen.« Der Junge zuckte die Schultern. »Aber ein paarmal sind die Böller so stark aufgeflammt, daß er hell beleuchtet war, vom Kopf bis zu den Füßen. Er war nicht sehr groß, etwa so wie ich. Aber ziemlich dick. Er trug eine dunkle kurze Jacke und hatte X-Beine, wie so viele Dicke. Als er losgerannt ist, konnte man sehen, daß er nicht besonders sportlich ist. Er ist so schwer gelaufen, so watschelnd.«
    Der Hauptmann schrieb sich Namen und Adressen der Zeugen in sein Notizbuch, bedankte sich zum Abschied und sprang von der Bank.
    »Vielleicht hat dieser Typ ja die Böller absichtlich abgefeuert, damit man den Schuß nicht hörte?« erklang hinter ihm die gedämpfte Stimme von Lena.
     
    Bevor Natascha Anissimowa zum Rechtsanwalt fuhr, um sich beraten zu lassen, brachte sie das Kind zu ihrer Mutter.
    »Ich würde mich gar nicht wundern, wenn sich herausstellt, daß er der Mörder ist«, erklärte Kira Georgijewna, kaum daß Natascha eingetreten war. »Mir war von Anfang an klar, wie seine ganzen dunklen Geschäfte enden würden.«
    Natascha dachte plötzlich, daß sich ihre Mutter diesen Satz im voraus zurechtgelegt hatte, sobald sie erfahren hatte, was geschehen war.
    »Nun hör aber auf, Mama«, stöhnte sie, während sie ihremSohn den Overall auszog, »was für dunkle Geschäfte? Wovon redest du?«
    »Das weißt du ganz genau! Diese ganzen Käufe und Weiterverkäufe. In normaler Sprache nennt man so was Schwarzhandel. Dafür kam man früher ins Gefängnis. Aber heute, bitte sehr, heißt das vornehm Business. Wo dieses Business ist, ist die Kriminalität nicht weit. An das Kind hätte er denken sollen, an dich.«
    »Er hat ja an uns gedacht, er wollte Geld verdienen.«
    »Geld! Was anderes hast du nicht im Kopf. Eure Generation ist so voller Zynismus, daß es einen graust, wenn man mit euch redet. Als Kind warst du ganz anders. Ein unverdorbenes Mädchen, ganz

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