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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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war es vom Schnee hell und so still, daß man hören konnte, wie fünf Kilometer entfernt eine einsame Vorortbahn über die vereisten Gleise ratterte.
    Das Landhaus von Dmitri Wladimirowitsch Malzew war groß und warm, mit einer Zentralheizung, drei Badezimmern und zwei kleinen Duschen. Im Wohnzimmer, im Eßzimmer und im Schlafzimmer von Dmitri Malzew gab es außerdem noch Kamine, echte, mit verschnörkelten Funkenfängen und einem ganzen Sortiment verschiedener Zangen, Schürhaken, Bürsten und Schäufelchen.
    Seit dem Abend schneite es, zur Nacht war ein richtiger Schneesturm aufgekommen. Warja schaute erst aus dem Fenster auf die großen, im Laternenlicht glitzernden Schneeflocken, dann auf die im Kamin schwelenden, rötlich leuchtenden Holzscheite. Schließlich richtete sie den Blick zur Zimmerdecke und begann Elefanten zu zählen.
    Vor ihrem inneren Auge zog langsam eine schwere, dunkelgraue Herde vorbei. Der Rhythmus war beharrlich-monoton. Sie durfte sich durch das Zählen nur nicht so sehr ablenken lassen, daß sie vergaß, wollüstig zu stöhnen und sich ununterbrochen zu bewegen. Und auf keinen Fall durfte sie daran denken, daß unter ihr Wasser war, hundertfünfzig Liter Wasser, von dem sie nur das gummierte Gewebe der Matratze und ein dünnes Seidenlaken trennten.
    Der Rhythmus wurde schneller. Die riesige Wassermatratze schwankte wie ein Berg Wackelpudding. Die Elefanten trampelten über die Zimmerdecke. Warja tröstete sich mit dem Gedanken an den glücklichen Augenblick, in dem sie sich endlich unter die Dusche stellen, das duftende grüne Gel auf den Schwamm drücken und sich lange und gründlich waschen würde. Bis dahin war es allerdings noch weit. Zwanzig Minuten mußte sie mindestens noch aushalten. Eine ganze Ewigkeit.
    Das Getrappel der Elefanten ging allmählich in ein langes Dröhnen über, das an Donnerrollen erinnerte. Ihr schien, als trampele die Herde nicht mehr über die Decke, sondernüber ihren ausgestreckten Körper. Sie fühlte sich vollkommen flach, sie wurde in das elastische, bewegliche Fleisch der Matratze gestampft. Der schwitzende, ächzende Mann über ihr wog mindestens hundert Kilo. Er lag immer oben. Andere Stellungen außer dieser, der primitivsten, mochte er nicht. Alles andere hielt er für pervers.
    An Kraft und Ausdauer fehlte es ihm nicht, aber Phantasie ging ihm völlig ab. In den ersten zwei Wochen war von seinen dünnen, trockenen Lippen weder ein Laut noch ein Kuß gekommen. Vierzig Minuten Grabesstille und der gleichmäßige, schwere Rhythmus der Körperbewegungen. Aber inzwischen war er etwas lockerer und entspannter geworden. Manchmal küßte er Warja, saugte oder knabberte an ihrem Ohr, stöhnte und schrie mit seltsam hoher Stimme auf. Dann schöpfte sie wieder Hoffnung und glaubte, alles würde gut.
    Dieser Mann, einer der reichsten und einflußreichsten in Rußland, dieser elastische, schweigsame Koloß mit den gelblichen, wie feuchter Lehm schimmernden Augen, mit dem kurzen Stiernacken, den breiten behaarten Handgelenken und den schmalen, auf weibliche Art gepflegten Fingern, würde sie heiraten.
    Dmitri Wladimirowitsch Malzew war offiziell nur stellvertretender Finanzminister, aber sein Einfluß und seine Vollmachten reichten weit über die Grenzen dieses vergleichsweise bescheidenen Amtes hinaus. Jeden Morgen lief er barfuß fünf Kilometer durch den Wald, bei jedem Wetter nur mit einer kurzen Turnhose bekleidet, danach schwamm er im eiskalten Wasser des Swimmingpools. Mit seinen fünfzig Jahren war er gesund wie ein Eber, wie ein Zuchtbulle, wie ein wilder afrikanischer Elefant.
    Die Wassertemperatur im Bassin war immer gleich, im Winter wie im Sommer plus sieben Grad. Wenn man nahe anden Rand trat, konnte man kleine Eisstückchen entdecken, so fein und durchsichtig wie Kontaktlinsen. Manchmal, wenn es nachts totenstill war, schien es Warja, als würde es leise klirren, wenn die Eisstückchen auf der schwarzen Wasseroberfläche mit den Reflexen der blassen Wintersterne zusammenstießen.
    Wasser ist überhaupt nicht schrecklich, redete sich Warja ein, wenn sie in die schwarze Tiefe des Bassins blickte. Du mußt dich an das Wasser gewöhnen. Du hast Glück gehabt, seit drei Jahren ist er mit dir nicht mehr ans Meer gefahren. Die Ärzte haben ihm gesagt, daß die Sonne schädlich für ihn sei, weil er irgendwas mit der Haut habe und sich nicht sonnen dürfe. Inzwischen haben sie es ihm allerdings wieder erlaubt. In diesem Sommer will er nach Nizza. Dann mußt

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