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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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plötzlich wieder ein. »Ja, natürlich, Onkel Kolja … Arbeiten Sie hier immer noch als Wächter?«
    »Richtig, ich bin Wächter. Woher weißt du das?«
    »Ich bin hier gewissermaßen groß geworden. Als Kind bin ich jeden Sommer hergekommen.«
    »So? Ich kenne dich aber gar nicht.«
    »Ich war fünfzehn Jahre lang nicht mehr hier.« Lisa beleuchtete ihr Gesicht mit der Taschenlampe. »Erkennen Sie mich jetzt?«
    »Lisa? Schau an, du hast dich aber rausgemacht! Hör mal, du bringst doch im Fernsehen die Nachrichten, stimmt’s?«
    »Ja.«
    »Das ist ja ein Ding! Und ich gucke die ganze Zeit, bist du’s oder bist du’s nicht! Das ist wohl dein Mann?«
    »Ja, ich bin ihr Mann«, sagte Juri sofort, ohne nachzudenken.
     
    Anatoli Krassawtschenko hatte es sehr eilig. Er schritt rasch die Rue Sainte-Cathérine hinunter, vorbei an mehreren Häuservierteln, bog dann ab, passierte die matt erleuchteten Schaufenster der Einkaufszentren und befand sich schon nach zehn Minuten auf einer von grellem, kaltem Licht erhellten Straße. Eben hierher hatte sich Jelisaweta Beljajewa in ihrer Zerstreutheit verirrt.
    Krassawtschenko verringerte sein Tempo, schlenderte langsam über den vereisten Bürgersteig und musterte die verschlafenen Mädchen, die sogar zu dieser unchristlichen Stunde ihren Arbeitsplatz nicht verließen. Strandgut. Stumpfsinnige Gesichter, bedeckt mit mehreren Schichten von billigem Make-up, schief sitzende Perücken, verfaulte Zähne. Von Drogen und Alkohol zerstörte Geschöpfe, die sich für nichts auf der Welt mehr interessierten außer für das Geld, mit dem sie diese Drogen und den Alkohol kaufen konnten. Krassawtschenko begriff, daß es sich nicht lohnte, hier Zeit zu verlieren. Auf diese Weise konnte er kein Geld sparen, er hatte eigentlich auch nicht damit gerechnet.
    Er beschleunigte seinen Schritt, bog in eine Seitengasse ein und gelangte von dort auf die Parallelstraße. Hier sahen dieFassaden der Häuser sauberer aus, die Leuchtreklamen schillerten in allen Regenbogenfarben. Die Prostituierten standen nicht frierend auf dem Bürgersteig, sondern verbargen sich im Inneren der Häuser. Krassawtschenko entschied sich für ein Etablissement mit dem Namen »Galerie Klein-Amsterdam«.
    Es war tatsächlich eine Galerie, eine Art unterirdisches Einkaufszentrum. Der Eintritt kostete zwanzig kanadische Dollar. An der Treppe standen kräftige Wachleute. Krassawtschenko stieg hinunter und befand sich zwischen zwei Reihen funkelnder Schaufenster. Hinter den Glasscheiben sah man geschmackvoll eingerichtete Zimmer, in denen ein ruhiges, ganz alltägliches Leben herrschte.
    In knapp sitzenden Badeanzügen, durchsichtigen Negligés und Spitzenunterwäsche saßen die Mädchen an Couchtischen, schlürften Cola aus Dosen, blätterten in Zeitschriften und rauchten. Manche lagen auf pseudoantiken Liegen oder direkt auf dem Fußboden, auf Teppichen. Die vereinzelten Kunden, die sie durch die Glasscheibe anglotzten, schienen sie überhaupt nicht zu kümmern.
    Krassawtschenko studierte sorgfältig die Gesichter, vor einigen Schaufenstern blieb er stehen und machte den Mädchen Zeichen, sie sollten sich im Profil zeigen und näher an die Scheibe treten. Schließlich hatte er gefunden, was er suchte.
    Eine große, aschblonde Frau um die dreißig in Jeans-Shorts und einem schlichten T-Shirt, die in einem Schaukelstuhl neben einem runden Couchtisch saß und konzentriert Zeitung las. Hinter ihr war ein großes, solides Bett und eine Duschkabine aus Plastik zu sehen. Krassawtschenko klopfte mit dem Fingernagel sacht an die Scheibe. Die Frau hob den Kopf. Lange, aufmerksam betrachtete er ihr Gesicht. Große blaue Augen, eine hohe Stirn, hohe Wangenknochen, eine gerade kleine Nase, blasse volle Lippen. Die Frau stand auf,ging barfuß auf dem Teppich auf und ab, drehte sich und zeigte sich von allen Seiten. Krassawtschenko nickte zufrieden, sie lächelte und gab ihm durch Zeichen zu verstehen, daß der Eingang auf der anderen Seite war.
    Dort befand sich eine fensterlose Wand mit einer Tür. An der Tür empfing ihn ein Wachmann.
    »Bitte machen Sie sich mit unseren Regeln und unserer Preisliste bekannt.« Er reichte ihm einen ganzen Packen Papiere. Krassawtschenko überflog die Liste der von der Frau angebotenen Dienste und stieß einen leisen Pfiff aus, als er merkte, daß es ein ziemlich teurer Spaß werden würde.
    »Es ist eine Vorauszahlung von fünfzig Dollar in bar zu leisten. Kreditkarten und Schecks werden nicht angenommen.

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